Berlin, 15. 3. 2010
Siebenbürgen is a Swedish Dark Metal Band (Wikipedia)
Als ich A. vor 5 Jahren das erste Mal auf dem Kindergeburtstag, veranstaltet von meiner New Yorker Freundin S. treffe, sprechen wir vor allem über die schwierige Situation, Mutter in einer von Machogedanken verseuchten spanischen Gesellschaft zu sein. Die weiterhin andauernde Trennung von Männer- und Frauengesellschaften, die sich in Partys und Drogenhabitus zwar aufhebt, die aber, sobald eine Frau Kinder hat, in ihr alt hergebrachtes Recht tritt.
A. ist gerade mit ihrem Kind von Madrid nach Berlin gezogen, der kubanische Vater des Sohnes blieb dort. Ich kannte das Problem von meinem spanisch sozialisierten Ex-Mann, der sich, sobald er sich in der Umgebung seiner spanischen Freunde befand, zum Macho mutierte und mich mit dem Rhythmus und Bedürfnissen der Kinder allein ließ, welche mit Party- und Ausgehgewohnheiten nicht korrespondierten.
A.s Herkunft aus Siebenbürgen widmeten wir nur einen Bruchteil des Gesprächs. Sie betonte dabei vor allem die Schwierigkeit, diese Herkunft und damit ihre kulturelle Identität in Deutschland zu erklären, wo kaum jemand die Geschichte der Region kennt. Ihr Partner, aus Havanna kommend, hatte damit nie ein Problem. Jeder meinte zu wissen, was das bedeutete. Bei A. stiftete die Kombination von deutscher Sprache und Rumänien sofort Verwirrung.
Du kommst aus Rumänien? Sprichst aber gut Deutsch.
Hieß es, ignorierend, dass Siebenbürgern über Jahrhunderte immer deutschsprachig gewesen war.
Schäßburg | Sighişoara 1989: Blick vom Turm
Jetzt, wo wir uns getroffen haben, um ausführlich über “ihr” Siebenbürgen zu sprechen, kein Mutter- und Beziehungstalk mehr, beklagt A. die Konzentration der Berichterstattung westlicher Medien auf das Sensationelle, Aufsehen Erregende: Geheimdienst, Armut, Korruption, Nazi-Überläufertum.
Auch die andauernde Aufmerksamkeit auf das agrikulturelle und volkskundliche Element ist ihr suspekt. Die Darstellung der Region als vor allem bäuerlich-religiöse Gemeinschaft verursacht ihr Stirnrunzeln. Als ich ihr von den Speckseiten in den Kirchenburgen erzählte, die mir bei der zweiten Reise stolz vorgeführt wurden und von den Stickmustern auf Bauernblusen, schaut sie mich fassungslos an.
Schäßburg | Sighişoara – Wien
A. ist in Schäßburg aufgewachsen, entstammt einer wohl ausgebildeten, emanzipierten Bürgersfamilie. Schon ihre Großmütter studierten, waren Lehrerinnen. Und dann gäbe es noch den Unterschied zwischen Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, der zirka fünf Jahrhunderte beträgt, meint sie, der kaum je bedacht wird. Die Sachsen waren immerhin ein halbes Jahrtausend vorher da. As. Familie definierte sich kaum über Rumänien, das war bloß die letzte Phase ihrer Geschichte, eine harte und eingeschränkte. Ansonsten stand die siebenbürgische Gemeinschaft in dauerndem Austausch mit “Europa”, d.h. mit anderen deutschsprachigen Gemeinschaften. Die gebildete Schichte erneuerte sich dadurch, kulturell, wie sprachlich, nur die Dorfsprache konservierte altertümliche Ausdrücke, die Stadtsprache entwickelte sich über die Zeiten. Die berühmten Kirchenburgen lernte A. aus der Perspektive ihres Architektenonkels kennen, der in jahrelanger Arbeit einen Atlas sämtlicher solcher Verteidigungsbauten erstellte. Ihre Funktion als Bollwerke gegen Eroberungsgelüste der Türken ist in den Texten der Kinderlieder, die A. sang, festgelegt.
Schäßburg | Sighişoara 1989: Autorin auf dem Turm, hinunterblickend
Die Dorfsprache, und da unterscheidet ja auch die im schwäbischen Banat aufgewachsene Herta Müller, bildet ein Reservoir von eigenen Ausdrücken und Formulierungen, in denen die jahrhundertelange Geschichte enthalten ist.
A. stellen sich andere Fragen und stellt sie damit mir und meiner Reportage:
- Wo ist in den Berichten über Siebenbürgen die Bildungsschichte, das Bürgertum?
- Wo sind die Geschichten über Herta Müllers Zeit in Bukarest? Als sich die jungen Schriftsteller trafen, austauschten und herausbildeten?
- Warum stellt Müller sich als Einzelkämpferin dar, so als hätte sie alleine gegen die Diktatur aufbegehrt und warum wird sie von den Medien bis zum Nobelpreiskomitee so dargestellt, obwohl sie doch aus einer Gruppe kam, von deren gemeinsamer emanzipatorischer Kraft sie profitierte?
A. erinnert sich an die Stapel von Ausgaben der Literaturzeitschrift NEUE LITERATUR, die der Vater, ein Lehrer, abonniert hatte und durch die A. sich las. Auch Müllers Gedichte. Dennoch ist A. über Die Atemschaukel froh, weil in ihr der Generationenbruch zur Sprache kommt. Die Grosseltern, die alle in russischen Lagern waren und auf diese Weise sippenhaftmässig für die Kollaboration mit den Nazis bestraft wurden.
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