Lydia Mischkulnig: Dublin, 24. 3. 2010 | BROTSCHREIBEN

| mitSprache unterwegs |

Dublin, 24. 3. 2010

Briefschreiberin und Dienstmagd – Jan Vermeer, 1670

Die Literatur führt mich zwischendurch nach Irland. Gleich nach der Ankunft in Dublin erfolgte die erste Irritation: Ich reagiere wider besseres Wissen.

Reflexe sind stärker als Ratio. “Falsche Seite” ruft meine Abholerin und natürlich gilt hier Linksverkehr. Wo bei uns üblicherweise der Chauffeur das Steuer übernimmt, da ist der Platz für den Beifahrer. Die Nachtfahrt durch Dublin ins Hotel wird zur Lesereise. Die eine Fassade erinnert an Häuser flandrischer Orte, dann wieder nimmt Dublin die Atmosphäre einer Grazer Ausfallsstraße an, die weltläufige Nuance am Georgian Merrion Square wirkt Londonerisch und die Backsteinbauten an der Südautobahnauffahrt Wiens fügten sich nahtlos dazu, die Pubs sind gewöhnlich wie sogar in Japan. Auf der Fahrt zum B&B wird klar , Dublin entspricht gefühlsmäßig Wiener Neustadt. Was ist an Wiener Neustadt Dublinisch?

Weshalb ist das wichtig? Nur um herauszufinden, dass man immer wieder auf bereits Bekanntes zurückgreift und eben auch auf Unbekanntes, von dem man sich aber eine Vorstellung gemacht hat. Dass heißt, Vorstellungen von etwas, die immer gleich bleiben, also immer ein wenig unkonkret und nebulos, aber den Kennerblick formen und sich allem Unbekannten überstülpen und so Fremdes einem sehr vertraut erscheinen lassen. Das ist ein Psychotrick des menschlichen Unbewußten, um sich nicht in den vielen konstant Unbekannten, was Welt ausmacht, verloren zu fühlen und vor Angst zu krepieren.

Wie verhält es sich denn mit Ähnlichkeiten, die tatsächlich und konkret sind? Ähnlichkeiten sind Verhältnisse und diese gestalten sich beliebig. Dublin verhält sich zu London wie Wiener Neustadt zu Wien. Stimmt das?

Was macht man damit, dass London wie Wien und Dublin wie Wiener Neustadt ist. Zumindest in der Historien-Anamnese gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Kapitalen und der Kleinstadt- denn Dublin war besetzt von London und Wiener Neustadt von niemandem aus Wien, es wurde gleichsam gegründet und nicht unterdrückt.

In Dublin identifiziert mich ein Kellner bei Starbucks als Ausländerin, ohne überhaupt ein Wort von mir gehört zu haben. Schon mein aussehen hat einen Akzent. Der Nicht-von-hier-sein-Blick ist ein Symptom an dem er meine Herkuntfsfrage fest macht. Woher ich denn sei? Er kommt aus Ungarn, Debrecen- wir freuen uns darüber und dass wir Nachbarn sind. Ich erhalte einen Tipp fürs Dinner.

In der Auslage des 2. Stockwerks sitzend, guckte ich auf die Dublin bevölkernden Passanten. Sprühregen zwischendurch. Die Grafton Street ist mit roten Backstein-Ziegeln gepflastert. Das Volk trägt gern Rucksack, egal aus welchen Herren Ländern. Gefolgt von Umhängetaschen.

Einkaufstaschen aus Plastik, einfärbig, durchsichtig, keine Tschuschenkoffer, wie man mal sagte, die wasserabstoßend großen Plastiksäcke, die zur Umhüllung des letzten Eigentums der Habenichtse dienten. Am Flughafen in Wien lag eine Daunendecke auf dem Förderband, kompakt zusammengklappt und mit Schichten selbsthaltender durchsichtiger Folie zusammengeschnürt und eingebunden.

Das Sicherheitspersonal verlangte von der zugehörigen Dame, dass sie ihr Gepäckstück enthülle, die Folie aufschneide, um die Daunendecke prüfen zu können. Die Dame war eine Türkin oder so. Stellte mir vor, dass die Decke jetzt gleich schmutzig werden würde, wenn sie auf dem Förderband dahinfährt. Die Wut der Zugehörigen Dame war nicht zu verspüren, nur das rot angelaufene Gesicht zu sehen. Die Einwickelei, die sicher ein paar Rollen Selbsthaltefolie erfordert haben dürfte, war sinnlos geworden durch die Anordnung des mit einem Aufschlitzmesser zückenden Sicherheitspersonals. Die Frau übernahm das Messer und mit dem Ausdruck peinlicher Berührtheit schluckte sie und stach durch die Schutzfolie. Natürlich quoll das weiche, intim anmutende und nun geschändete Federbett durch den Schlitz und natürlich war der weiße Stoff sofort fleckig vom Schmutz und Reisedreck.

In der irischen Zeitung wird über Opfer berichtet und Männer in Soutanen im Setting der katholischen Kirche sind abgebildet. Die Diskussion um die Übergriffigkeit der Kirche reicht auch hierher ins Starbuck. Die Kirche sollte ein 11.Gebot festlegen: Verführe kein Kind. Draußen zieht sich die Wolkendecke zu. Auf dem First des gegenüberliegenden Hauses stelzt eine Möwe dahin und hält den Schnabel arrogant vorgestreckt. Angeblich fliegt hier auf der Insel ein Pädophilenskandal nach dem anderen auf. Irland hat neben den Wirtschaftsleichen nicht fertig gestellter Supermärkte und stillgelegter Wohnhausanlagen die Krise mit der Kirche und diese mit den Gläubigen. Hoffentlich geht die Kirche nicht in konkurs. Etwa 95 % der Grundschulen werden hier von der Kirche geführt. Eine vertrackte Situation in Zeiten dmangelnder Bildungsinvestition durch die Regierung.

Die Schäfchen machen genau, das, was der gesunde Instikt empfiehlt. Sie laufen scharenweise davon, um ihre Lämmer vor dem Wolf zu retten. Polnische Preister erhalten Pfarreien aufrecht und ebenso die polnischen Einwanderer, die sich in Irland, dem katholischsten Land Europas, wie ich hörte, leicht zu integrieren vermögen.

Ein Blitzbesuch in der “Saint Teresa`s Church” rettete mich vor dem praktisch aus heiterem Himmel herabschießenden Regen. Die Rede zur Messe wurde verlesen, vermutlich war es der Kaplan in Schwarz, dann trat der Priester im Ornat, also der geschmückte Mann, an das Mikrofon und auch ich erhob mich und blätterte in meinem Reiseführer nach der Adresse der National Gallery, die unweit von Oscar Wildes und Samuel Becketts Wohnstatt, das von mir geliebte Bild Vermeers einer “Briefschreiberin und Dienstmagd” beherbergt. National Galleries sind Wohnzimmer, wo man Bilder wie alte beständige Freunde unvermittelt besuchen kann.

War ich in meiner Jugend auf Reisen, besuchte ich Kirchen, um irgendwelche Destinationen zu haben, also Ziele am Ziel, die mich mit ihm verbanden, nicht aus meinem schon früh verlorenen Glauben, sondern weil mir die Architektur und das Ritual der Messe und der religiösen Feste vertraut waren, so suche ich die Musen in meinen Tempeln.

National Gallery of Ireland, Dublin

Das Motiv der schreibenden Frau fasziniert, weil das denkende Gesicht alterslos ist. Die Schreibende tut, was nur sie so tun kann, wie sie es tut, ihre Gedanken zu verfertigen. Eine ritualisierbare Tätigkeit, die die Gebundenheit an die Gewalt der Zeitenfolge und ihrer Unterwerfung zu durchbrechen hilft.

Hervorbringung eines Gedankens. Hinter dem Rücken der schreibenden Frau steht eine Magd, sie blickt aus den mit Bleiruten gefassten Fenster. Ein wenig gedankenverloren, sehnsüchtig, aber auch spähend,vielleicht auch lauernd, als könnte jemand den Akt des Schreibens der Dame entdecken und stören, entweihen. Die Dame schreibt konzentriert und wandelt Ahnung und Awareness in Worte um. Ein heiliger Akt. Kann die Magd schreiben? Lernten Mägde um 1670, als das Bild entstand, lesen und schreiben? Woher kam die Magd? Wieso hebt sie den Zettel nicht auf, der auf dem Boden liegt. Wer war sie für Vermeer? Als er starb, schenkte seine Frau dieses Bild dem Bäcker, um ihre Schulden abzutragen.

Demnach lautet der wahre Titel für das Vermeer-Bild der Dame und ihrer Magd: BROTSCHREIBEN.

|||

There are no comments yet. Be the first and leave a response!

Leave a Reply

Wanting to leave an <em>phasis on your comment?

Trackback URL http://www.zintzen.org/2010/03/26/lydia-mischkulnig-dublin-24-3-2010-brotschreiben/trackback/