Liebe deutsche Studenten in Österreich, ihr nervt mich ganz gewaltig! Wenn ich fünf Minuten vor Beginn der Vorlesung in meinen Hörsaal in Innsbruck laufe, schaue ich auf ein Meer aus Büchern, Schals, Taschenrechnern und Collegeblöcken – mit denen ihr vor der Veranstaltung eure Plätze reserviert! Da fühle ich mich gleich wie im letzten Mallorca-Urlaub, da war auch keine Liege vor euren Handtüchern sicher. Ich als Einheimischer soll dann auf dem Boden sitzen, obwohl meine Familie mit ihren Steuern hier das Bildungssystem finanziert.

Tausende von euch retten sich jährlich ins Bildungsasyl nach Österreich. Bei uns gibt es ja keinen Numerus clausus und keine Studiengebühren. In Innsbruck hat sich der Anteil deutscher Studenten in den vergangenen zwei Jahren von 9 auf 14 Prozent erhöht. An der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck haben sich für das kommende Semester insgesamt 7.477 Studenten beworben – 3.634 aus Österreich und 2.448 aus Deutschland. Im Jahr davor waren es lediglich 875 deutsche Neuanmeldungen. An der Uni Salzburg kommen 1.405 Neuanmeldungen aus Deutschland und 2.123 aus Österreich. Im zugangsbeschränkten Studiengang Psychologie treffen dort sogar 76 Prozent deutsche auf 23 Prozent österreichische Studenten. An den Universitäten in Wien, Graz und Linz ist die Lage ähnlich. Wie fändet ihr es, wenn ihr in eurem Land keinen Studienplatz mehr bekommen würdet, weil Österreicher mit schlechten Abschlussnoten eure Hörsäle stürmen?

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Hat man sich mühsam eine Sitzgelegenheit zwischen Türrahmen und Mülleimer erkämpft, wartet schon der nächste Konflikt. Wir Österreicher haben ja einen eigenen Dialekt, den wir als unsere Sprache empfinden. Sind aber Deutsche im Raum, verlangen die Professoren von uns, dass wir Hochdeutsch sprechen – damit ihr uns versteht. Besonders deutsche Professoren finden meinen Tiroler Zungenschlag auf einmal nicht mehr fein genug. Ich habe sogar erlebt, dass Deutsche in Referaten bessere Noten bekommen haben, weil ihr Hochdeutsch schlauer klingt als unser Österreichisch!

Viele österreichische Maturanten (bei euch sagt man Abiturienten) machen sich mittlerweile Sorgen um ihr Studium. Denn Geld fällt in Österreich auch nicht vom Himmel. Den Unis fehlt es massiv an Mitteln, und was sie haben, geben sie zum Teil für Deutsche aus, die selbst nichts zahlen. Die logische Folge sind unterirdische Betreuungsverhältnisse, zu wenig Seminarplätze und eine überforderte Verwaltung. Dank eurem Ansturm steht auch der wenig bis kaum vorhandene, dafür überteuerte Wohnungsmarkt jeden Herbst kurz vor dem Kollaps.

Nicht einmal abends beim Bier mit Freunden kann man sich noch entspannen. Die Bars sind voll von Möchtegern-Wirtschaftsbossen mit pastellfarbenen Polohemden, die wir liebevoll die »Stehkragenmafia« nennen. Sie bestellen mit Papas Kreditkarte die Wodka- und Proseccoflaschen und versuchen so zu beeindrucken. Warum schickt uns Deutschland jedes Semester ausgerechnet seine schlimmsten Schnösel?

Ich weiß, das klingt jetzt alles, als hätte ich eine natürliche Abneigung gegen Deutsche. Die habe ich bestimmt nicht! Ich bewundere euren Fußball – im Gegensatz zu uns habt ihr eine Nationalmannschaft, die man ernst nehmen kann. Bands wie die Beatsteaks und LaBrassBanda stehen bei mir ganz oben im Regal. Und so viel los wie in Berlin ist in Wien lange nicht, deswegen reise ich sehr gern zu euch. Auch meine Freundin ist Deutsche, und ich liebe sie! Ich will hier nur auf ein Problem aufmerksam machen, das wir in Österreich haben und das von Jahr zu Jahr größer wird, wenn sich nichts ändert.

Geht es mit dem Bildungssystem in Österreich weiter bergab, wird an dieser Stelle vielleicht bald ein Deutscher schreiben und sich beklagen, dass Zehntausende Studenten aus Graz und Wien nach Deutschland geflohen sind. Und spätestens wenn ihr dann selbst in Nürnberg, Hamburg oder Berlin zwischen Türrahmen und Mülleimer auf dem Boden sitzen müsst, weil Dutzende Österreicher ihre Sitzplätze mit Kuhglocken reserviert haben und euch in grantigem Schmäh anschnauzen, werdet ihr an mich denken und verstehen, was mich stört.