Graphic Novel / Bandes dessinées
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Die Europäischen Literaturtage 2013 diskutierten den Bereich des Graphic Novel. Das dazu eröffnete Archiv versammelt Buchempfehlungen von readme.cc Usern. Besprechungen, die unter dem Stichwort "Comics" abgespeichert werden, erweitern das Archiv.

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[ كتاب مقترح من Christian Gasser ] Jiro Taniguchi: "Die Sicht der Dinge
1952 verwüstete eine Feuersbrunst die Stadt Tottori und zerstörte den ganzen Besitz der Familie von Yoichi. Yoichi war damals vierjährig, und er beobachtete ohnmächtig, wie die Folgen der Brandkatastrophe auch die Beziehung seiner Eltern zerrüttete – wenige Monate später verliess die Mutter ihren Mann und ihre Kinder. Yoichi gab dem Vater die Schuld für die Scheidung und begann, ihn zu hassen. Nun ist Yoichi um die 40, er lebt in Tokio und hat den Kontakt zum Vater seit 15 Jahren abgebrochen. Dann stirbt der Vater, Yoichi kehrt nach Hause zurück, und diese Reise wird auch zu einer Rückkehr in die Vergangenheit: Während der Totenwache lässt er Schlüsselmomente seiner Kindheit vor dem inneren Auge abrollen.
Der 1947 geborene Jiro Taniguchi ist ein ungewöhnlicher Manga-Autor. Er begann seine Laufbahn 1970 mit actiongeladenen Abenteuergeschichten, ehe er sich 1986 mit "Botchan No Jidai" (auf französisch als "Le temps du Botchan" greifbar), einem epischen Sittengemälde des intellektuellen und literarischen Aufbruchs während der Meiji-Ära im späten 19. Jahrhundert, neu erfand. Seither widersprechen Taniguchis Comic-Romane den gängigen Mangaklischees. Sie sind langsam, ruhig und persönlich, sie setzen sich mit dem Alltag auseinander und wenden sich an eine erwachsene Leserschaft. Deshalb spricht er auch in Europa eine breite Leserschaft ausserhalb der Manga-Fanszene an und räumt derzeit alle wichtigen Preise ab.
In "Die Sicht der Dinge" umkreist Taniguchi auf knapp 300 Seiten die Erinnerungen und die Gefühle von Yoichi, wie er dem Leichnam seines Vaters gegenübersitzt und erkennen muss, dass er ihm Unrecht getan hat. Die familiäre Situation war weit komplexer, als der kleine Voichi damals ahnen konnte. Taniguchi schildert Yoichis plötzliches Verständnis für den Vater und seine Schuldgefühle dem Toten gegenüber mit viel Sensibilität; er inszeniert kein tränen- und gestenreiches Drama, sondern spielt mit Zwischentönen und melancholischen Nebensächlichkeiten, die der Geschichte eine grosse Glaubhaftigkeit verleihen.
Christian Gasser
[ معلومات ] Taniguchi, Jiro: Die Sicht der Dinge.
Carlsen,
Hamburg, 2008
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ISBN: 978-3-551-77731-7.