
Der Weltensammler print this book tip
[ book tip by ] Melancholie oder Monotonie?
Der Weltensammler, Ilija Trojanows Roman über die Reisen des britischen Abenteurers, Offiziers und Polylinguisten Richard Francis Burton (1821–1890) durch Indien, Ostafrika und Arabien wurde von der Kritik höchst gelobt und von den Lesern gekauft und verschlungen. Auch die Biographie des Schriftstellers Trojanow liest sich ja einigermaßen welthaltig (geb. in Sofia, dann Flucht nach Deutschland, wo er studierte, danch lebte er in Bombay und Kapstadt, heute in Wien), so dass man mehrfach versucht ist, Trojanow eine besondere Affinität zu dem besonders offenen und neugierigen und sprachlich außergewöhnlich begabten Helden Burton zuzugestehen.
Der Roman wird in drei Teilen erzählt, die sich nach den herausragenden Stationen Burtons richten. Mit jedem Ort wechseln Perspektiven und Erzählstimmen. Über das indische Abenteuer berichtet ein ehemaliger Diener einem Schreiber – hier ist vor allem die Literaturwerdung des Stoffes von Bedeutung, denn die Fantasie des Schreibers bekommt Raum (und wird auch problematisiert); diese Passage zeichnet sich aus durch märchenhaft schöne Bilder wie jenes des greisen Richters, der in einem ehemaligen moslimischen Grabmal residiert (ohne Dach?), dem die Vögel durch den Verstand schwirren; auch der Identitätswechsel – Burtons liebstes Spiel mit Herkunft, Religion und Ritus (er wird zum Moslem „konvertieren“ und die Hadji absolvieren – was ja Christen bzw. allen Nicht-Moslems nicht erlaubt ist und als einer der ersten über Medina und Mekka berichten) – spielt hier bereits eine wesentliche Rolle. Über seine Pilgerreise nach Mekka berichten dann offiziellen Stellen bzw. verhörartige Gesprächsprotokolle – hier wird bereits der Spionagevorwurf aufgenommen, wobei auch dem Kadi und dem Gouverneur nicht ganz klar wird, was er denn spionieren möchte. Im dritten Teil dann Burtons Suche nach den Quellen des Nils, seine Entdeckung des Tanganiyka-Sees und der Verlust eines Großteils seiner Aufzeichnungen. Die Ostafrika-Episode wird vom Führer der Karawane nach langer Zeit in Sansibar, in einer Gasse sitzend, Freunden und Neugierigen berichtet.
Der Wechsel der Perspektiven – wie ein dichter Bilderreigen mitunter, die aber auch sonderbare Mischungen aus Dokumentation und Fiktion/Imagination bleiben – ist einerseits die Stärke des Buches, zeigt aber auch ein paar Defizite auf: Wenn zum Beispiel der Karawanenführer reflektiert wie ein (alternativer) Touristenguide des 20. Jahrhunderts. Der Zusammenhalt der heterogen erzählten Passagen besteht ja in der Figur des Helden – die Figur des Burton bleibt aber oft faktisch und wird nicht sehr lebendig, was geht in diesem außergewöhnlichen Menschen vor, der sich Kulissen suchte, die für seine Zeitgenossen undenkbar und auch für uns nicht gerade gewöhnlich sind?! Auch wird seine eigene Position zur Kolonialisierung (er war Teil ihres Machtapparats) nicht eindeutig festzumachen bzw. scheitern diese Versuche.
Der Weltensammler ist (auch) ein Roman über die Fremde und über das Fremde. An vielen Stellen erleuchtet sich diese große Thema in der Erzählung selbst, manchmal ist es nur aus der Entfernung sichtbar, gerade nicht greifbar.
[ Favourite quote ] Der Himmel war ein leeres Blau. Die flache Unendlichkeit der Wüste war zu klein, um diese Karawane aufzunehmen. (…) Staub, Lärm, Gestank - die Stadt schleppt sich in die Wüste, und die Wüste begleitet sie.
[ book info ] Trojanow, Ilija: Der Weltensammler.
(original language: deutsch)
dtv,
München, 2008
(2006).
ISBN: 978-3-423-13581-8.
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Genre: novel
Keywords: Viktoria-See, Reise, Ostafrika, Kolonialismus, Indien, Fremde, Britisch-Indien, Abenteuer, 19. Jahrhundert
Languages (book tip): German
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[ 06.11.08 - 19:49 ] [ comment by readme.cc und Hauptbücherei Wien (Admin) ] Trojanows "Weltensammler" gibt als Buch des Monats beim Lesezirkel der Hauptbücherei Wien und readme.cc am Mo, 10.11. um 19.00 Uhr das Thema vor: "Welt". Abenteuergeschichten, Reiseromane und das Fremde werden dabei sicher eine Rolle spielen - und wohl auch die Frage, wie historisierend Literatur sein kann oder soll …