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Jakob schläft

Merz, Klaus

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[ book tip by Literatur Schweiz ] Jakob starb bei der Geburt, seither schläft er im Himmel und wacht über die Familie. Drunten spielen sich derweil die Geschichten aus dem Familienalbum ab. In der guten Stube gleich neben der Backstube thront das neue Heiligtum, der Radio-Apparat von Grundig. Aus ihm erklingen in ruhigen Stunden die Nachrichten aus fernen Ländern. Ihretwegen hält es Onkel Franz nicht zuhause, lieber brummt er auf seiner Harley durch das Dorf, während Gary Cooper im Landkino zur Mittagsstunde allein gegen alle antritt. Mit kurzen, präzisen Strichen und mit feiner Ironie beschwört Merz so die fünfziger Jahre und ihren familiären Alltag herauf.
75 Seiten Umfang sind nicht viel, doch dem skurrilen Untertitel „Eigentlich ein Roman“ werden sie allemal gerecht. Klaus Merz, der Meister der lakonisch verdichteten Kurzsätze, hält sich auch hier an sein Programm sprachlicher Konzentration, zwischendurch freilich verhilft ihm das anekdotische Erzählen zu längerem, fast epischem Atem. Aus diesem Grund hebt sich dieser »Mikroroman« etwas von der rätselhaften Kargheit und Luzidität seiner anderen Dichtungen ab. Merz verzichtet weitgehend auf das subtile, irritierende Geflecht aus Anspielungen, Andeutungen und Aussparungen; einzig der fehlende literarische Hochmut bleibt für ihn auch hier unverzichtbar.
Merz erzählt aus seiner Jugendzeit, die er in den fünfziger Jahren im aargauischen Wynental durchlebte. Doch das Geschriebene ist nie das Wirkliche, auch wenn es ihm gleicht. Merz erzählt demnach nicht ungefiltert autobiografisch, sondern erfindet für sein Buch ein literarisches Ich: Lukas Renz (ein Fast-Anagramm zu Klaus Merz). Dieses Ich ruft uns auch jene Episoden ins Gedächtnis zurück, die in Merz' früheren Erzählungen „Report“, „Im Schläfengebiet“ oder „Querfahrt“ von den familiären Lädierungen erzählen.
In seine bezaubernd schlichte Prosa eingebettet finden sich immer wieder verwunschene Sätze und fein modulierte Sprachbilder, die zuerst zwar „verloren“ wirken, doch auf den zweiten Blick eine präzise Beschreibungsqualität offenbaren. Vom sonntäglichen Kinobesuch zurückgekehrt - „High Noon“ - setzte Vater in der Backstube den Vorteig an und Mutter „strich mir die Querschläger aus den Haaren“. Solche Sätze nehmen wahr, „was durch Vorzeigen nicht sichtbar wird“.
(Beat Mazenauer)

[ Favourite quote ] «Am schwersten taten wir uns in Zeiten relativer Schmerzlosigkeit. Wir hielten die Latenz neuer Wunden nicht aus, wandten uns sofort fremdem Leiden zu, das wir jedoch noch weit schlechter ertrugen als die eigenen Bresten.»

[ book info ] Merz, Klaus: Jakob schläft. (original language: Deutsch) Haymon, Innsbruck, 1997 . ISBN: 3-85218-229-8.


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Genre: novel
Keywords: Bruder, Krankheit, Familienroman, Fünfzigerjahre
Style: poetisch, bildhaft, ironisch
Recommended for: alle
Languages (book tip): English, German, French, Italian


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