
Exit Ghost drucken
[ Buchtipp von Dieter Sperl ] In Philip Roths „Exit Ghost“ gibt es Absätze, die ich aufgrund ihrer klaren, lichten, präzisen, extrem beweglichen Sprachhandhabung immer wieder gelesen habe. Hier dient Sprache vor allem zur Klärung der Situation, in der sich der Protagonist befindet, ist Werkzeug, um die sozialen Belange zu regeln, die Wünsche, Begierden, Hoffnungen und Ängste und deren Relationen zu den sozialen Regeln und Räumen (in Vergangenheit und Zukunft) zu durchleuchten, zu verstehen, zu modellieren, um womöglich weitere und bessere Entscheidungen treffen zu können.
Nathan Zuckermann ist Schriftsteller, der seit elf Jahren zurückgezogen in der Pampa lebt und sich dort mit seinem Schreiben, dem unablässigen Erproben erzählerischer Form, und seinem langsamen körperliche Verfall (Inkontinenz, Impotenz und sich anbahnende Demenz) arrangiert hat, in seiner „Festung gegen Eindringlinge“ und geschützt durch „Schichten von Misstrauen“. Bis er eines Tages nach N.Y. fährt, diesem „weltlichsten Ort Amerikas“, um seine Inkontinenz vielleicht durch eine Reihe von Operationen in den Griff zu kriegen. Dabei gerät sein Leben durch die Begegnung mit einer um vierzig Jahre jüngeren Frau allerdings völlig außer Kontrolle.
„Es war nichts weiter geschehen, als dass beinahe etwas geschehen war, doch ich kehrte zurück wie von einem großen bedeutenden Geschehen. (...) Nun war ich zurück, wo ich für immer der Notwendigkeit enthoben war, mich mit jemanden zu streiten oder etwas zu begehren oder jemand zu sein, die Menschen von diesem oder jenem zu überzeugen und eine Rolle in dem Drama meiner Zeit zu übernehmen.“
Der von seiner Vernunft gesteuerte und äußerst disziplinierte Schriftsteller liefert sich hier - in seiner Plastikunterhose - „Augenblicken wahnsinniger Erregtheit“ aus: Liebe, Verlangen, Angst, Versagen, berufliche Konflikte, politische Auseinandersetzungen, das gesamte Repertoire menschlichen Verhaltens und Makels (das in der Pampa entschwunden war) tritt auf. Zuckermann erlebt seinen Wunsch- und Triebkörper („wollen, begehren, haben“) nochmals für wenige Tage ansatzweise, in neurotischer, betulicher, grandioser und lächerlicher Manier. Zum Schluss jedoch darf der „Held“ glücklicherweise wieder nach Hause fahren, denn schließlich hat er ja nichts angestellt...
[ Lieblingszitat ] „All diese bemühte Konzentration schien wenig gegen eine Entwicklung zu bewirken, die sich nicht so sehr wie ein langsames Nachlassen des Gedächtnisses als vielmehr wie ein jäher Rutsch in die Besinnungslosigkeit anfühlte, als wohnte in meinem Kopf etwas Diabolisches, das eigene Ziele verfolgte – der Kobold der Amnesie, der Dämon des Vergessens, gegen dessen Zerstörungskraft ich nicht ankam –, als würde diese Wesenheit solche Ausfälle einzig und allein einsetzen, um das Vergnügen zu genießen, mir bei meinem Verfall zuzusehen, als wäre es ihr hämisches Endziel, jemandem, dessen Scharfsinn als Schriftsteller auf Erinnerung und verbaler Präzision beruhte, in einen belanglosen Menschen zu verwandeln.“
[ Info ] Roth, Philip: Exit Ghost.
Carl Hanser Verlag,
München , 2007
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ISBN: 78-3-446-23001-9.