Neue Literatur aus Österreich
Incentives - Neue Literatur aus Österreich
readme.cc eröffnet einen mehrsprachigen Zugang zur neuesten österreichischen Literatur. In Kooperation mit dem Literaturhaus in Wien bietet die Leseplattform Einblick in das aktuelle literarische Geschehen des Landes.
LiteraturjournalistInnen und WissenschaftlerInnen stellen aktuelle Neuerscheinungen vor, Leseproben vermitteln kurze Einblicke in die jeweiligen Texte, Kurzporträts der Autorinnen und Autoren ergänzen das Bild.
Das Informationsangebot steht derzeit in fünf Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch.
Das Projekt will zur Internationalisierung österreichischer Literatur beitragen bzw. zur Übersetzung aktueller Texte anregen.
Durchführung: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur (Rezensionen, Autorenporträts) – Übersetzergemeinschaft (Übersetzungen) – readme.cc (Infrastruktur).

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[ Buchtipp von Wolfgang Straub ] Der österreichische Schriftsteller Franzobel gehört zu den fleißigsten Veröffentlichern des Landes, das „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ listet 84 Titel auf. Da kommt man mit dem Lesen nicht mehr nach. Also am besten dem Aktualitätsgebot ein Schnippchen schlagen und ein älteres Werk zur Hand nehmen. Dieses hier muss zu seinen besten zählen: Der große Roman „Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt“ aus dem Jahr 2000.Der Untertitel „Josefine Wurznbachers Höhepunkt“ lässt Bezüge zu Felix Saltens Mutzenbacher-Roman vermuten, die „Josefine Mutzenbacher“ ist denn auch eine Art Absprungbasis für Franzobels inventorische Höhenflüge. Aber nicht der Autor von „Bambi“ ist hier der wichtigste Ahnherr, der Roman ist der Großepik Heimito von Doderers verpflichtet. Wie bei Doderer werkt hier ein allmächtiger Erzähler, der gerne mal Figuren in hohem Bogen aus dem Roman schmeißt („Und dabei haben wir ihn verloren, unseren photographierenden Polizisten.“); und wie bei Doderer treten Dutzende Figuren auf mehreren Erzählebenen auf. Alle hochfliegenden und oft sehr menschlich-niedrigen Kaskaden haben einen Fluchtpunkt: die beim Lateran gelegene „Heilige Stiege“ in Rom, die der Legende nach aus dem Palast von Pontius Pilatus stammt und auf der sich die Pilger kniend nach oben beten. Der Versuch einer Inhaltsangabe wäre müßig. Franzobel führt uns ein menschliches Bestiarium, ein Pandämonium des Grätzels vor und erspart uns dabei nichts: zwei Annas werden umgebracht, die eine gar durch den Fleischwolf gedreht, was wiederum das zarte Pflänzlein einer gerade entstehenden Liebe im Keim erstickt, woraus wiederum ein Blechschaden hervorgeht etc. Niemals wird der Roman durch diese Fülle überdreht oder manieristisch. Wie es dem Autor über weite Strecken gelingt, bei aller Dichtheit des Geschehens auch eine sprachliche Intensität und Genauigkeit durchzuhalten und dabei zugleich eine große Lockerheit zu bewahren, ist beeindruckend. Aber schließlich schöpft er nicht nur Energie aus Doderers Romantechnik, sondern bewegt sich auch sicher auf dem Terrain und in der Tradition sprachreflektierender, avancierter Literatur. Und wenn man Ausdrücke wie „einen Luftballonverschluß von Bauchnabel“ in all ihrer Exaktheit liest, muss man wohl dem emphatischen Diktum eines Kritikers von einer „Allwissenheit auf dem Gebiet der abstrusen Metaphorik“ Recht geben.
[ Lieblingszitat ] Eine Erzählung bedeutet, Schlingen auszulegen und zu warten. Zu warten, bis die aus dem Ahnungslosen kommenden Personen reinsteigen. Dann muß man zuziehen, Acht geben, dass sich die Gestalten nicht verheddern, Leine geben, laufen lassen, um sie unmerklich, erst nach und nach zusammenzuführen
[ Info ] Franzobel, : Scala Santa.
oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt. (original language: Deutsch)
Zsolnay,
Wien, 2000
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ISBN: 978-3-552-04956-7.