Graphic Novel / Bandes dessinées

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Shenzhen

Delisle, Guy (Aus dem Französischen von Jochen Schmidt)

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[ Buchtipp von Martin Reiterer ] „Shenzhen“ ist der literarische Glücksfall von einem Buchtitel. Es ist bei weitem nicht allein der Name der Stadt, in die der Kanadier Guy Delisle reist, um dort für einige Monate die Leitung eines Filmtrickstudios zu übernehmen. Die acht Buchstaben „Shenzhen“ stellen in ihrem subtilen Wechsel von Wiederholung und Variation poetisch komprimiert eine präzise Zusammenfassung dessen dar, was sich zwischen den Buchdeckeln seines Comic-Tagebuchs auf großartig bescheidene Weise tut.

Die Stadt Shenzhen liegt im Süden Chinas, in ökonomisch unmittelbarer Reichweite von Hongkong und gehört zu den rasantest anwachsenden modernen High-Tech-Industriestädten. Die Bevölkerungszahl, heute bei über 12 Millionen, hat sich in den letzten 30 Jahren vervierhundertfacht. Delisle ist nicht zum ersten Mal in China: „Ich hatte die Gerüche vergessen, den Lärm, die vielen Menschen, den Dreck, die Eintönigkeit.“ Das Déjà-vu, die Wiederholung, die Gleichatmigkeit sind von Anfang an Thema. Jemandem, der die Landessprache nicht beherrscht, tritt die Wirtschafts- und Baustellenstadt als Moloch der Kommunikationsverweigerung gegenüber. Wie gut, dass dem Autor/Zeichner andere Formen der Kommunikation, der Erfahrung und Wahrnehmung zur Verfügung stehen. Das Zeichnen und Aufzeichnen wird zum Gegenüber, zum Spiegel, zur Reflexionsfläche.

Wie mit Tinte auf Löschpapier gezeichnet, nehmen sich die von innen heraus zerfranste, verschmutzte Stadt und ihre Bewohner aus. Doch wenn auch ständig alles zu verschwimmen und sich einer weiteren Annäherung zu widersetzen scheint, die Beziehung des Protagonisten zu seiner Stadt hinterlässt klare Spuren. Mit Ironie umkreist Delisle die unbedeutendsten Erscheinungen seines Alltags, bis Langeweile und Eintönigkeit zunehmend mehr ins Zentrum geraten. Schließlich „ähneln sich [die Tage] so stark, dass mir die Idee kommt, ein Experiment zu versuchen [...] Es bis zum Extrem zu treiben, sodass man am Ende zwei vollkommen identische Tage hatte.“ Doch eine Wiederholung dieser extremen Art scheint nicht herstellbar, selbst die unscheinbarsten, vermeintlich ununterscheidbarsten Wiederholungen finden unter stets neuen geistig und körperlich unterschiedlichen Bedingungen statt.

Auch wenn mitunter eine kulturelle Befangenheit in Delisles Sichtweise spürbar ist, es sind die Mittel der Ironie und der Reduktion, die auf kunstvolle Weise alltägliche Belanglosigkeit und Langeweile in spannungsreiche Ereignisse verwandeln.

[ Info ] Delisle, Guy: Shenzhen. (original language: Französisch) Aus dem Französischen von Jochen Schmidt. Reprodukt, Berlin, 2006 . ISBN: 3-938511-07-9.


Dieses Buch ist ...

Genre: Comic
Stichworte: Reiseliteratur, innovativ, autobiografisch
Sprachen (Buchtipp): Deutsch


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