ELIT Autoren
Autoren, die von 2009 bis 2014 Gast waren bei den Europäischen Literaturtagen.

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[ Buchtipp von Cristina Beretta ] "Ich weiß nicht, wie man in Verlegenheit gerät, weiß nicht, wie man errötet, wie man den Klang seiner Stimme so ändert, dass sie ängstlicher klingt oder die Stimmbänder leicht zu zittern beginnen. Mein Herzschlag ist gleichmäßig, außer er wird durch körperliche Anstrengung beschleunigt." Er liebt es, andere leiden zu sehen, aber er ist kein Sadist, denn "der Sadismus ist eine komplizierte Praxis, die fortdauernde Bemühungen und einen äußerst berechnenden Einsatz verlangt", derer er nicht fähig ist.
Das sind die Dinge, die das erzählende Ich klarstellt, noch bevor es sich vorstellt. Es ist das Ich von Matteo Carnevale, einem Dreißigjährigen, der unfähig ist, Schmerz oder Zuneigung zu fühlen, der weder Reue noch Schuldgefühle kennt. Die Menschen sind versucht, in seinem höflichen Lächeln zu lesen, was immer sie wollen, gerade weil sich dahinter nichts verbirgt; das Lächeln ist für ihn kein Mittel, um mit anderen zu kommunizieren - schließlich hat er offensichtlich auch nicht viel mitzuteilen.
Nach dem Abschluss seines Studiums der Politikwissenschaft lernt Matteo auf einer Zugfahrt, die ihn aus Apulien zurück nach Rom führt, Filippo kennen, der hauptberuflich Leichen schminkt, sich in Matteo verliebt und ihm einen Arbeitsplatz im Bestattungsunternehmen seiner Familie anbietet. Verlockt von der Idee, sich in einem diskreten, abgeschiedenen und anonymen Arbeitsumfeld zu bewegen, nimmt Matteo das Angebot an; außerdem, erklärt er, sei das "eine sichere und dauerhafte Anstellung, die Menschen würden noch auf Jahre hinaus sterben".
Anlässlich der Beerdigung ihres Vaters, der auf dem Parkplatz eines großen Kaufhauses gestorben war, erdrückt vom Gewicht eines eben erstandenen Tisches, lernt Matteo die Femme fatale Claudia und deren zukünftigen Mann Alberto kennen. Matteo wird von Claudia verführt und findet sich in einer seltsamen Affäre gefangen, die auf endlosen nächtlichen Monologen am Telefon und SM-Praktiken beruht.
Matteo wird schnell zur zentralen Bezugsperon im paradoxen Mikrokosmos dieser Figuren: Claudia verliebt sich in ihn, will ihre Hochzeit abblasen und für immer zu ihm gehören. Filippo beginnt, unwirkliche Vorschläge für eine gemeinsame Zukunft als Rosenzähler in Luxushotels zu machen, während Matteo für die Besitzer des Bestattungsunternehmens (Filippos Eltern) immer mehr zu jenem Sohn wird, den sie sich immer gewünscht hatten.
Doch der schüttelt all diese krankhaften Erwartungen ohne jegliches Schuldgefühl von sich. "Persönliche Wahnvorstellungen haben das Leid nie gelindert, das Schuldgefühl hat nie von der Schuld gereinigt. [...] Ich bin nicht so überheblich, zu glauben, Einfluss auf Glück oder Unglück von meinesgleichen auszuüben, ich bin ein Narr inmitten anderer Narren, die überzeugt sind, das Heilige in ihren Obsessionen gefunden zu haben." Und tatsächlich, während er die Fäden in diesem Gewirr von Eros, Thanatos, Fellatio, Sadismus, Masochismus und Ödipus zunehmend in die eigenen Hände nimmt, wandelt sich Matteo in einem überraschenden Finale vom Fall für die Nervenheilanstalt, als der er zunächst erschien, zur wohl einzigen authentischen Persönlichkeit des Romans.
Was mich an diesem Buch am meisten fasziniert, ist die Illusion von Transparenz, welche die Autorin diesem Beziehungsgeflecht, das doch eigentlich finster und abartig ist, verleihen konnte. Man könnte sogar behaupten, dass Claudias SM-Praktiken oder die alltäglich konsumierten oralen Dienste im Bestattungsinstitut weniger abartig sind als die Falschheit der Personen, die Matteo Carnevale umgeben. Es ist Veronica Raimo gelungen, die Wirklichkeit in Worte zu übertragen und sie gefiltert durch einen paradoxen und grotesken Blickwinkel in einen dichten, vollkommenen und unmittelbar wirkenden Roman zu verwandeln. Ihre Figuren sind psychologisch perfekt analysiert, ohne jedoch auf Psychologismen zurückzugreifen. Und das alles ist in einer originellen, bildmächtigen Sprache erzählt, in einem sehr persönlichen Stil.
[ Info ] Raimo, Veronica: Il dolore secondo Matteo.
(original language: Italian)
Minimum fax,
2007
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ISBN: 978-88-7521-138-7.
Dieses Buch ist ...
Genre: Roman
Sprachen (Buchtipp): Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Ungarisch, Arabisch, Tschechisch, Dänisch, Slowenisch, Hebräisch