Documentary Fiction
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Die Europäischen Literaturtage 2013 diskutierten den Bereich des dokumentarischen Romans. Das dazu eröffnete Archiv versammelt Buchempfehlungen von readme.cc Usern. Besprechungen, die unter dem Stichwort "Roman" abgespeichert werden, erweitern das Archiv

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Surfiction: Der Weg aus der Literatur
Hamburger Poetik-Lektionen Bild vergrößern[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Der breiten Öffentlichkeit war der französisch-amerikanische Schriftsteller und Literaturprofessor Raymond Federman kein Begriff. Seine Bücher ruhen in der Sparte Avantgarde-Literatur. Seine "Surfiction"-Poetikvorlesungen, 1990 im Hamburger Literaturhaus gehalten, üben jedoch nachhaltigen Einfluss auf die literarische Diskussion aus. Im Untertitel heissen sie "Der Weg der Literatur",
Federman versucht darauf eine Antwort, die den Avantgardisten verrät. „Schreiben heisst zuallererst Zitieren“ - der Satz steht in der vierten Vorlesung unter der Überschrift „Kritifiktion. Einbildungskraft als Plagiarismus“. Federman rechnet darin spielerisch ernsthaft mit den traditionellen Mythen der heiligen Aura von Werk und Autor ab. Wer Neues schöpft, schöpft aus kollektiven Quellen, aus bestehenden Diskursen, aus bereits geschriebenen Büchern. Mit anderen Worten: Schöpfer sind Plagiaristen - präziser: „Pla(y)giaristen“ – spielerische Diebe aus dem gemeinschaftlichen Fundus an Worten, Klängen und Bildern. Was Federman für die Literatur formuliert, kennen wir bereits aus den Diskursen über Musik, Kunst und Software. Gerade die neuen Medien bestärken die Literatur auf diesem vorgezeichneten Weg.
Die künstlerische Einbildungskraft erfindet nichts Neues sondern “imitiert, kopiert, wiederholt, nachhallt, vervielfältigt - mit anderen Worten plagiarisiert -, was schon immer da war.“ Kreativität äussert sich derart im eigensinnigen Neuarrangement, getragen vom Bewusstsein, der public domain verpflichtet zu sein: zu geben und zu nehmen.
Wie sehr diese Neubewertung mit dem eigenen Leben und Schreiben verknüpft war, beschreibt Federman in der Nachschrift zu diesem Band: "Federman über Federman: Lüg oder stirb". Als Kern seiner Poetik definiert Federman die Unmöglichkeit, wahrhaftig zu sein - insbesondere im autobiografischen Schreiben. Und um Autobiografie ist es ihm, dessen gesamte Familie im Holocaust umgebracht wurde, immer gegangen. "Nur die Fiktion ist real", sie bestimmt das Leben des Autors. Federmans Diskurs ist ein eindrückliches, weil lebendiges Zeugnis für die literarische Avantgarde, die zwar auch Geschichten erzählen will, aber jeglichem literarischen Realismus zutiefst misstraut.
"Surfiction" ist ein wichtiges Buch, das die Wege der Literatur im digitalen Zeitalter vorzeichnet.
[ Lieblingszitat ] Was in Federmans Fiktion wahrgenommen werden muss, ist das, was fehlt, was absichtlich oder unbewusst ausgelassen worden ist. Aber nicht, weil das Fehlende nicht erzählt oder beschrieben werden könnte (wie zum Beispiel die Unaussprechlichkeit des Holocaust, der Federmans Leben und Werk bestimmt), sondern weil Federman vorrangig schreibt, um die Unmöglichkeit und Notwendigkeit des Schreibens in der Postmodernen/Post-Holocaust-Ära zu demonstrieren. Aus diesem Grund scheint er anzudeuten, dass man, um unter heutigen Bedingungen schreiben zu können, lügen müsse (die Lcher stopfen müsse), denn wenn man nicht lügen kann (die Löcher nicht stopen kann), dann wird man zwangsläufig sterben (als Schriftsteller in diesem Falle). (Federman über Federman. In: Surfiction, S. 129)
[ Info ] Federman, Raymond: Surfiction: Der Weg aus der Literatur.
Hamburger Poetik-Lektionen. (original language: Deutsch)
Edition Surhkamp,
Frankfurt am Main, 1992
(1991).
ISBN: 3-518-11667-3.
Übersetzt aus Amerikanisch von Friedrich Torberg
Dieses Buch ist ...
Genre: Essay
Stichworte: Manipulate, Neue Technolgien, Poetik, Sample, Surf, Vorlesung, Ästhetik
Stil: analytisch, Avantgarde, beispielhaft, innovativ, intellektuell
Empfohlen für: Schriftsteller, Autoren, Avantgarde
Sprachen (Buchtipp): Deutsch