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Liebesgeschichte

Franzobel, (Franzobel)

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[ Buchtipp von Elisabeth Sampl ] Franzobel – Liebesgeschichte 

Liebe im Schleudergang 

Alexander, der mit Marie verheiratet ist, wird von Heidrun vergöttert, hat aber seit längerem schon eine Affäre mit Dunja, die den Künstler Doyle liebt, dem wiederum alles eins ist: Allesamt von der Liebe und vom Autor in beinah auswegslose Situationen Getriebene und ihre atemlose Flucht vor der Realität nach Jerusalem oder gleich in den Wahnsinn. Jeder mit jedem – Franzobels Prinzip, das er auch schon in seinen bekannteren Romanen Scala Santa (2000) und Lusthaus (2002) durchgezogen hat. Auch Liebesgeschichte spielt wie seine Vorgänger größtenteils in Wien, wo sich die Figuren ständig über den Weg laufen, sich in die Quere kommen und total zufällig und absurd über sieben Ecken miteinander verstrickt sind. Und Beziehungen gibt es in Liebesgeschichte – der Name lässt es schon vermuten – zu Hauf. 

So verfängt sich auch die Hauptfigur Alexander Gansebohn, ein 34-jähriger Arabischübersetzer, im raffiniert gesponnenen Netz, als er eines Tages von seiner Frau Marie vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Sie hat Fotos, die ihren Ehemann und dessen Geliebte Dunja in eindeutiger Pose zeigen und will ihn deshalb endgültig verlassen. Der Clou: Die Fotos hat sie nicht von einem eigens engagierten Privatdetektiv bekommen, sondern durch reinen Zufall. Dunjas Nachbar vom Haus gegenüber geht allem Anschein nach voyeuristischen Tätigkeiten nach und hat so die Vorgänge in ihrem Schlafzimmer fotografiert. Ist es Schicksal oder Zufall, dass sich dieser Nachbar Ganzeböhm schreibt und seine Fotos im gleichen Geschäft entwickeln lässt wie Marie Gansebohn, die dort die falschen Fotos erwischt hat? 

Zwar geht es nicht um tatsächlich lebende Personen, aber die geschilderten Lebens- und Alltagssituationen, die teilweise recht prekär sind, haben doch etwas Authentisches, was maßgeblich zur Unterhaltung beiträgt und womit man sich bis zu einem bestimmten Grad sogar identifizieren könnte. Allerdings handeln die Figuren in Liebesgeschichte nicht wie wirkliche Menschen, denn sie alle haben einen Hang zum Übertriebenen, den sie wie unter Zwang ständig zur Schau tragen müssen und so werden sie zu komischen Figuren in einer Satire, die mit der Liebe und den Liebenden selbst abrechnet. Das „sich am Leid des anderen Ergötzen“ funktioniert auch in Liebesgeschichte wunderbar und spricht gerade eine Generation an, die dieses Konzept vom Fernsehen her schon gewöhnt ist. Was da an berieselnden Absurditäten daherkommt, ist aber auf jeden Fall besser, als das, was einem in Reality- oder Talkshows geboten wird. 

Seine Anhänger lieben Franzobel aber nicht nur für sein Talent ständig neue und noch abgedrehtere Figuren zu erdenken und aberwitzige Verbindungen zwischen ihnen herzustellen, sondern vor allem, weil er viele Tabuthemen miteinander kombiniert, nicht zu sagen „vermanscht“ und dann auch noch Aktuelles einfließen lässt. Die Pornoindustrie, die fragwürdige Unterhaltung fürs Handy herstellt, Vogelgrippe, Amerika und Terroranschläge in Österreich – nichts ist Franzobel heilig. Daher findet man natürlich auch zahlreiche Anspielungen auf die Kirche, die ordentlich durch den Kakao gezogen wird. In Liebesgeschichte kommt es zu einer Orgie mit einem Fresko, das religiöse Motive zeigt, ein Kirchenaustritt wird nur ganz beiläufig erwähnt, als ob’s ein ganz normaler Einkauf beim Billa gewesen wäre, und es wird auch gerne aus Gebeten, der Bibel und Kirchenliedern zitiert. 

Die vier Teile des Buches tragen die verheißungsvollen Titel „Cholerik: Der Finger“, „Melancholie: Die Schlange“, „Sanguinik: Der Geier“ und „Phlegma: Leviathan“. Nach der Temperamentenlehre sind das genau die Gemütszustände, die die Hauptfigur Alexander durchlebt. Der zweite Teil der Titel ist je eines der vier Motive in einem großen Kirchenfresko, mit dem einige Mönche ihr Schindluder treiben. Am Ende fällt Alexander sprichwörtlich dem Leviathan, einem biblischen Monster, in die Hände. Er hat sich verzettelt und auf die falschen Ideale gesetzt, denn sein Plan, Terrorist zu werden, geht nicht auf und er landet im Gefängnis der heiligen Stadt Jerusalem. Seine Frau, die er immer noch liebt, hat inzwischen einen anderen, der Alexander klarerweise im Laufe der Geschichte auch schon einige Male untergekommen ist – sonst wär’s ja kein Franzobel. Traditioneller Weise kommt daher auch die Hälfte aller Figuren auf teilweise sehr brutale Art ums Leben. 

Franzobel – vielleicht selbst „ein in den Wahnsinn Ausgewanderter“? Seine „große romantische Aktion“ Liebesgeschichte ist jedenfalls ein Roman, in dem jeder seinen eigenen kleinen „Huscher“ hat und über alles laut gelacht werden darf oder sogar muss, weil man nur schwer die Haltung bewahren können wird. 

[ Lieblingszitat ]  

[ Info ] Franzobel, : Liebesgeschichte. (original language: Deutsch) Franzobel. Zsolnay, Wien, 2007 (2007). ISBN: 978-3-552-05410-3.


Dieses Buch ist ...

Genre: Roman
Stichworte: Wien, Liebe, Jerusalem
Stil: rasant, durchgeknallt
Sprachen (Buchtipp): Deutsch


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