Documentary Fiction

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Die Europäischen Literaturtage 2013 diskutierten den Bereich des dokumentarischen Romans. Das dazu eröffnete Archiv versammelt Buchempfehlungen von readme.cc Usern. Besprechungen, die unter dem Stichwort "Roman" abgespeichert werden, erweitern das Archiv


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Der Schatten des Körpers des Kutschers

Weiss, Peter

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[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Der Schriftsteller und Dramatiker Peter Weiss war - oft vergessen - auch Maler und Filmemacher. Dieses frühe künstlerische Werk geht den später erfolgreichen literarischen Werken voraus, es bildet gewissermassen dessen Fundament. Als Scharnier dazwischen kann Weiss’ originellster und radikalster Text „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ gelesen werden. Erstmals 1959 erschienen, wurde er bereits 1952 geschrieben, als Weiss parallel dazu einige surrealistische Filmstudien drehte.

Auch der Prosaband ist eine surrealistische Studie, sie überspitzt mit einer präzisen Beschreibungstechnik den Abbildrealismus und verleiht ihm beinahe absurde Züge. Der Erzählduktus orientiert sich dabei ganz an filmischen Techniken: subjektive Optik und Kamerafahrten (Schwenk, Travelling). Wie mit einem Kameraauge fährt der Erzähler durch Räumlichkeiten und schildert aufs Genaueste, was sich darin vorfindet. Das kühle Kameraauge hält dabei alles in kühler Distanz. Den Höhepunkt bildet ein veristisches Glanzstück: die Beobachtung von zwei kopulierenden Figuren, die doppelt gebrochen wird. Zum einen ist das Geschehen (platonisch) nur als Schattenwurf erkennbar, zum zweiten lässt sich der kühl Beobachtende (das Kameraauge) dadurch erstmals zu einer Emotion hinreissen, als ob er in dem Moment selbst einen innern Kampf ausficht: "drei Tage und drei Nächte [des Wartens] in denen ich, einer umfassenden Gleichgültigkeit wegen nicht vermochte, meine Aufzeichnungen weiter zu führen". Demnach verlässt die poetisch inspirierte dokumentarische Beobachtung das Feld des exakten Registrierens. Soll man dem Auge trauen? Nur insofern das Auge subjektiv wahr-nimmt, also nicht bloss empirische Gültigkeit hat.

Peter Weiss treibt hier die Sprache bis an den Rand ihrer eigenen Negation, er spricht an der Grenze des Schweigens, oder - noch paradoxer formuliert: Er möchte das Schweigen selber zum Sprechen bringen.

[ Lieblingszitat ] ...so sah ich deutlich über dem Schatten des Fensterbrettes den Schatten der Kaffeekanne hervorragen, und seitwärts, etwa vom Platz aus an dem die Haushälterin bei den Mahlzeiten zu sitzen pflegt, beugte sich der Schatten der Haushälterin mit vorgestrecktem Arm über den Tisch und ergriff den Schatten der Kaffeekanne. Nun legte sich der Schatten des Kutschers, niedrig aus der Tiefe der Küche hervvortretend, und über den Schatten der Tischkante, der in gleicher Höhe mit dem Schatten des Fensterbrettes lag, hinauswachsend, neben den Schatten der Haushälterin...  (97)

[ Info ] Weiss, Peter: Der Schatten des Körpers des Kutschers. (original language: Deutsch) Suhrkamp, Frankfurt, 1959 .


Dieses Buch ist ...

Genre: Roman
Stichworte: Travelling, Filme
Stil: filmisch, beschreibend, anschaulich, analytisch
Empfohlen für: Text fürs Gehör, Surrealismus, Sprachgenuss
Sprachen (Buchtipp): Deutsch


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