
Kalda drucken
[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Turbulente Zeiten bringen turbulente Leben hervor - und eine Literatur, die solche Turbulenzen einzufangen versucht. Davon erzählt der kroatische Autor Edo Popović in seinem Roman „Kalda“.
Der Titelheld wächst in einem Arbeiterquarier von Zagreb auf, wo er die Nöte der Adoleszenz kennen lernt, ohne daraus weitere Ambitionen abzuleiten. Die Sehnsucht nach Sex wird allzu häufig durch Drogen gestillt, die Abwesenheit des Vaters mit Nonchalance überdeckt. Am Beispiel von Ivan Kalda erzählt Popović das Psychogramm einer kroatischen Jugend im Ton lässiger Gleichgültigkeit. Sie prädestiniert Kalda zum neutralen Beobachter, der die "Kunst des Sehens" perfektioniert.
Kalda wehrt sich gegen die Konventionen passiv und indem er sich einfach weigert, erwachsen zu werden. Um keinen Preis will er werden wie die Alten: brave Arbeiter im Büro, erfüllt von Pflichtbewusstsein, und von stillen Ängsten heimgesucht. Doch mit dieser Weigerung gerät er selbst in die Falle. War nicht sein Vater ebenso, einer, der einfach abgehauen ist? Die Membran zwischen Lässigkeit und Verzweiflung ist dünn. Dies signalisiert ihm, Kalda, zum einen der eigene Sohn, der getrennt von ihm mit seiner Mutter lebt. Kalda versteht sich gut mit ihm, weil er nur ein fremder Besucher ist. Mehr aber ist da nicht. Zum anderen gerät Kalda durch seinen Beruf als Fotograf in die grausamen Wirren des bosnischen Krieges, die ihn grausame Dinge sehen lassen. "Mich ging das alles nichts an", schützt er sich zwar, zugleich beobachtet er, wie über Nacht "diverse Affen zu bedeutenden Personen" wurden und sich entsprechend aufführen, auch ihm gegenüber.
Edo Popović' Roman ist ein zwischen lakonischer Lässigkeit und sensibler Berühungsangst schwankendes Buch, das von der kollektiven Verwirrung einer Generation erzählt. Hoffnung, urteilt Kalda äusserlich hart: "Ein Asyl für Weicheier" - doch gibt es ein Leben ohne sie? Er selbst erweist sich nicht immun dagegen, zum Glück, wie das Ende des Buches andeutet. Frech, direkt trifft Popović den scheinbar unbetiligten Ton, der im Grunde doch stets verrät, dass er nur Maske ist, ein zusehends abbröckelnder Panzer. Ein Leben als Unerwachsener bleibt zuletzt sinnlos, doch ist es schwer, in einer sich rasant verändernden Gesellschaft für sich selbst Ziele zu setzen. Davon erzählt dieser virtuose Roman. "Wir kriegen alle unsere Chance", denkt Kalda, "wie wir sie nutzen, ist unser Bier."
[ Lieblingszitat ] Ich wurde geboren, das ist alles, was man über den Anfang sagen kann. Auch später gibt es kaum etwas zu sagen, ich meine – kein Mysterium zu entdecken.
[ Info ] Popović, Edo: Kalda.
(original language: Kroatisch) Aus dem Kroat. von Alida Bremer.
Voland & Quist,
Dresden / Leipzig, 2008
(2007).
Dieses Buch ist ...
Genre: Roman
Stichworte: gesellschaftliche Entwicklung, Wende, Kroatien, Kapitalismus
Stil: frech, flunkernd
Sprachen (Buchtipp): Deutsch