
Die Teufelswerkstatt drucken
[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Holla, dieses Karussell dreht verwirrend schnell und wirbelt seine Leser durch böse Nebelschwaden. Jáchym Topols Roman „Die Teufelswerkstatt“ schildert in grellen Farben, wie Gedenkkultur zu Gedenkbusiness verkommen kann.
Zwischen der offiziellen Gedenkkommission und einem Haufen von Einheimischen tobt ein Kleinkrieg um die Erinnerung. Unter Führung von Onkel Lebo, der im KZ Theresienstadt illegal zur Welt kam, bauen junge „Pritschensucher“ aus dem historischen Gemäuer eine Alternative zur Musealisierung der Geschichte. Sie kommen aus allen Richtungen, um mit guter Laune und Kreditkarte nach der Pritsche ihrer Vorfahren zu suchen. Unter ihrem Andrang entsteht eine Community, die bald Sektencharakter annimmt. Es gibt Ghetto-Pizza, und abends zeigt Lebo seine echten Trouvaillen aus den Katakomben des Todes. Doch dann wird dieser Theresienstädter „Ashram“ von den Behörden aufgelöst.
Der Ich-Erzähler, selbst ein Einheimischer aus Theresienstadt, entkommt, indem er von zwei Weissrussen als „Gedenkspezialist“ ins politisch unruhige Minsk geschleust wird. Weissrussland, wird ihm erzählt, sei die eigentliche Teufelswerkstatt gewesen, weil hier ein Dittel der Bevölkerung grausam vernichtet wurde. Niemand aber gedenkt dessen, es gibt hier keinerlei Erinnerungsbusiness. Exakt auf dieses Ziel hin arbeitet jedoch Alex, indem er im abgelegenen, vernichteten Dorf Chatyn mit avancierter Ausstellungstechnologie einen „Jurassic Park des Grauens“ aufbauen will (er stopft Zeitzeugen zu beredten Zombies aus). Die Finanzkontakte des tschechischen Spezialisten kommen ihm dafür gerade recht. Doch der will auch damit nichts zu schaffen haben...
Topols radikale Provokation verknüpft unverschämterweise das historische Erinnern mit dem globalisierten Business. Die Gedenkindustrie löscht die Erinnerung aus, indem sie sie pflegt. Topol erzählt davon in den finstersten Farben und taucht alles in scharfes Zwielicht. Als Leser fragt man sich wiederholt, ob erlaubt sei, was der Autor tut. Alex’ ausgestopfte KZ-Zombies beispielsweise erinnern an alberne Horrorfilme, doch sie sprechen Texte, die von wahren historischen Scheusslichkeiten zeugen. Alle Grenzen verflüssigen sich. In diesem Zirkus der widerstreitenden Gefühle ist einzig dem Ich-Erzähler hin und wieder zum Lachen zumute. Er sorgt sich - Historie hin oder her - bloss ums eigene Überleben, was schon schwierig genug erscheint. Der schnoddrige Erzählstil, den Topol - und mit ihm auf Deutsch seine Übersetzerin Eva Profousová - hervorragend trifft, passt bestens zu dieser bösen Vision einer Gedenkkultur um ihrer selbst Willen. Es ist manchmal, als ob der Teufel selbst an diesem Buch mitgeschrieben hätte.
[ Lieblingszitat ] Besucht die europäische Genozid-Gedenkstätte, die Teufelswerkstatt! brüllt Artuer weiter und giesst Wodka in die Becher. Haben wir etwa ein Meer? Oder Berge? Sehenswürdigkeiten? Nein, alle Sehenswürdigkeiten wurden niedergebrannt. Daher bauen wir in Weissrussland einen Jurassic Park des Grauens, ein Freilichtmuseum des Totalitarismus. Mit Säcken voller Knochen und Bündeln voller Eiter und Blut werden wir es auf die globale Landkarte schaffen. Gut, oder? Das wird der Knaller, nicht?
[ Info ] Topol, Jáchym : Die Teufelswerkstatt.
(original language: Tschechisch)
Suhrkamp,
Berlin, 2010
(2009).
Übersetzt aus Tschechisch von Eva Profousová
Dieses Buch ist ...
Genre: Roman
Stichworte: Eventkultur, historische Erinnerung, Konzentrationslager, Theresienstadt, Tschechien, Weissrussalnd, Antisemitismus
Stil: bösartig, frech, zynisch
Empfohlen für: Lektüre zum Nachdenken, freche Leser, Geschichte des 20. Jahrhunderts
Sprachen (Buchtipp): Deutsch