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Mein sehr lieber Herr Schönengel drucken

Mein sehr lieber Herr Schönengel

Urech, Marie-Jeanne

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[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Während die Zeitungen im Wirtschaftsteil zu verstehen versuchen, wer die Finanzkrise angerichtet hat, liefert die Lausanner Schriftstellerin und Filmemacherin Marie-Jeanne Urech eine grandios schräge Vision des Börsensturzes. Ihr Roman „Mein sehr lieber Herr Schönengel“ – auf Französisch schon 2006, vor der Finanzkrise erschienen – schildert eine vordergründig absurde Welt, worin sich stilistisch Kafka und Orwell begegnen. Arthur Schönengel tritt in Dienst der BUDE, einem gewaltigen Firmenkomplex, der alle Menschen zu nichtssagenden Rädchen mit Namen „Weisslich“ stempelt. Einzig die Anrede signalisiert unterschiedliche Hierarchiestufen: Zuoberst regiert „Unser Brillanter Pantheonischer Durchlauchtigster .... Sehr Lieber Herr Weisslich“.
Drunten im Keller dagegen hocken die kleinen Arbeitstiere in einer sterilen Koje und verrichten stumpfsinnige Dinge. Auch Arthur Schönengel zeichnet den lieben langen Tag nur ansteigende Striche, von links unten nach rechts oben. Diese hat er im Blut. Im Unterschied zu seinen Kollegen erlaubt er sich aber einen Rest an Renitenz, indem er seinen richtigen Namen nicht vergisst, und sich am Sonntag frei nimmt. Derlei wird nicht bestraft, denn die BUDE ist keine Diktatur, sondern bloss eine gehorsam akzeptierte Tretmühle. „Nichts zwang ihn, in der Tat, aber alles trieb ihn dazu“. Schönengels Tun ist dennoch von spezieller Wichtigkeit. Der  Firmenerfolg, erfährt er, hänge ganz von seinen Strichen ab. Je akkurater und kühner sie ansteigen, umso besser.
Kann das Börsenwesen boshafter, komischer dargestellt werden? Im Jahr 2009 liest sich dieser Roman als freche Paraphrase auf den ökonomischen Selbstlauf, der von unverständlichen Finanzinstrumenten angetrieben wird. Urech hat dafür eine wunderbar schlichte, präzise Sprache gefunden – von Claudia Steinitz trefflich übersetzt – welche die Parabel lächelnd zum Leuchten bringt. Trotz des geschilderten Leerlaufs bleibt das Romangeschehen behutsam in Gang und hält so die Spannung. Schliesslich bricht die Krise exakt in dem Moment aus, wo die Diskrepanz zwischen den akkuraten Strichen und dem Geschäft offenkundig wird. Vielleicht liegt es daran, dass Schönengel – um der Anmut willen – nur noch Bäume zeichnet, die Striche schön nach oben gerichtet. Die Fimenköpfe purzeln einer um den andern und werden als Leuchtkugeln an den Weihnachtsbaum gehängt.

[ Lieblingszitat ] «Es reicht, Weisslich! Erinnern Sie sich an das, was man Ihnen von Geburt an eingeschärft hat: Solange die Striche steigend sind, läuft das Geschäft. Die Lösung liegt in ihren Händen. Jetzt wenden Sie sie an!»

[ Info ] Urech, Marie-Jeanne: Mein sehr lieber Herr Schönengel. (original language: Deutsch) Bilgerverlag, Zürich, 2009 (2006).
Übersetzt aus Französisch von Claudia Steinitz


Dieses Buch ist ...

Genre: Roman
Sprachen (Buchtipp): Deutsch


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