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Indigo

Setz, Clemens

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[ Buchtipp von Incentives ] „Indigo-Kinder“ galten einmal als esoterisches Heilsversprechen: Kinder mit besonderen spirituellen Fähigkeiten, die von der Ankunft höherer Wesen auf Erden künden sollten. Von solchen Utopien lässt Setz' neuer Roman „Indigo“ nur Trümmer zurück: „Indigos“ sind hier Kinder, deren Gegenwart schwere Übelkeit, Kopfschmerzen, Orientierungslosigkeit, langfristig sogar Organschäden verursacht; die anfangs ahnungslosen Mütter erbrechen, sobald sie sich über die Wiege beugen.

Clemens Setz heißt der Icherzähler in Setz' Roman, der ein Berufspraktikum als Mathematiklehrer beginnt, in einem Internat für eben solche Kinder. Dort kommt es zu verdächtigen Vorgängen: Kinder verschwinden aus dem Internat, zwischen den Zeilen ist die Rede von unmenschlichen Experimenten, Folter.

Der Icherzähler forscht nach; der Gutteil des Buches besteht nun aus dem von ihm gesammelten Material. Für den Leser bleibt das Konvolut rätselhaft, manchmal bis zur Schmerzgrenze (umso lohnender ist jede weitere Lektüre). Die andere Hälfte der Geschichte sehen wir aus der Perspektive von Robert Tätzel, einem ehemaligen Indigo-Kind, der sein Syndrom abgelegt hat – und damit nicht fertig wird. Um sich abzulenken, denkt er „radioaktive Wörter“ („Dreckfotze, Judensau, entartet, Nigger“) oder traumatisiert die Nachbarin.

Setz ist ein Virtuose des moralischen Reibungsverlustes: großartig, wie das Indigo-Syndrom den Leser selbst in eine ausweglose Situation bringt, wenn sich die gesamte Gesellschaft in einer moralischen Grauzone befindet. Der Umgang damit, dass gerade die Schwächsten zur Bürde werden, ist hier keineswegs eindeutig human, aber auch nicht eindeutig inhuman. Viel zu klug hat Setz eine Vielzahl von Stimmen in Szene gesetzt.

Somit ist „Indigo“ – neben einem ironischen Maskenspiel des Autors (merke: Niemals einen Autor nach seinem Lieblingsroman fragen!) – vor allem ein entsetzlich glaubwürdiger Gesellschaftsroman: Wir sehen eine Version unserer selbst, täuschend ähnlich, und es weht uns unheimlich an.

Kurzfassung der Rezension von Bernhard Oberreither, 7. November 2012Originalversion: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=9687

[ Info ] Setz, Clemens: Indigo. (original language: Deutsch) Suhrkamp, Frankfurt / Main, 2012 . ISBN: 978-3-518-42324-0.


Dieses Buch ist ...

Genre: Roman
Sprachen (Buchtipp): Deutsch, Französisch, Tschechisch, Englisch, Ungarisch


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