Neue Literatur aus Österreich
Incentives - Neue Literatur aus Österreich
readme.cc eröffnet einen mehrsprachigen Zugang zur neuesten österreichischen Literatur. In Kooperation mit dem Literaturhaus in Wien bietet die Leseplattform Einblick in das aktuelle literarische Geschehen des Landes.
LiteraturjournalistInnen und WissenschaftlerInnen stellen aktuelle Neuerscheinungen vor, Leseproben vermitteln kurze Einblicke in die jeweiligen Texte, Kurzporträts der Autorinnen und Autoren ergänzen das Bild.
Das Informationsangebot steht derzeit in fünf Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch.
Das Projekt will zur Internationalisierung österreichischer Literatur beitragen bzw. zur Übersetzung aktueller Texte anregen.
Durchführung: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur (Rezensionen, Autorenporträts) – Übersetzergemeinschaft (Übersetzungen) – readme.cc (Infrastruktur).

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[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Der Roman „Das Büro“ ist vielleicht das wunderlichste Buch der literarischen Gegenwart. Sein Autor, der Niederländer J.J. Voskuil (1926-2008) arbeitete während 30 Jahren in einem volkskundlichen Institut in Amsterdam. Nach seiner Pensionierung 1987 erfüllte er sich den lang gehegten Wunsch, zu schreiben. Er begann, die Erfahrung dieser dreissig Berufsjahre in einem langatmigen, völlig unspektakulären Roman aufzuarbeiten und festzuhalten. Sieben Bände sind es geworden, deren erster mit einem Umfang von 850 Seiten nun auch auf Deutsch vorliegt.
„Das Büro“ hat das Zeug zum Kultbuch. Voskuil protokolliert den Alltag seines Helden Maarten Koning, der ohne rechten Antrieb 1957 seine Stelle bei Direktor Beerta antritt. Ihm wird der Zuständigkeitsbereich „Atlas der Volkskultur“ zugewiesen, mit einem ersten Schwerpunkt über die „Wichtelmännchen“. Während sich Maarten allmählich mit dem schrecklichen Büroalltag abfindet, kann es seine Frau Nicolien nicht fassen, dass ihr Mann erstens überhaupt eine Arbeit angenommen hat, und zweitens in diesem langweiligen Institut, das ihn obendrein viel zu gut entlöhnt. Das ist nur eine der banalen Absurditäten, mit denen J.J. Voskuil seinem Büroroman zu satirischem Glanz und tragischer Gloriole verhilft. Der Alltag geht seinen trägen Gang und Maarten Koning leistet ihm willig Gefolgschaft. Passieren tut kaum etwas, ausser dass Nijhoff nörgelt, Frau de Haan sich unfreundlich gibt, Direktor Beerta sein Los beklagt, Slofstra nichts schnallt und van Ieperen unsolidarisch ist. Einzig der Hauswart de Brujn wirkt einigermassen motiviert in seinem Tun.
Während uns Heerscharen von Krimischreibern mit ihren ausgefallenen Plots zum Gähnen bringen, gelingt es J.J. Voskuil unversehens, mit nichtigen Alltagsgeschichten und ohne stilistisches Aufhebens eine Spannung zu schaffen, die einen während der Lektüre klammheimlich gefangen nimmt. „Das Büro“ ist ein äusserst gewinnendes Buch, eine sonderbare Mischung aus TV-Soap und Marcel Proust. Es lässt seine Leser Seite um Seite am Institutsleben Teil haben, um ebenso schlicht wie präzise zu dokumentieren, womit hier denn all die Zeit verloren geht. Auf listige Weise hat Voskuil selbst so seine Lebenszeit zurück gewonnen. Sein Roman kann jene, die in einen Büroalltag eingespannt sind, über diesen hinweg trösten; und wer derlei nicht kennt, erhält hier auf faszinierende Weise eine gesellschaftliche Realität gezeigt.
[ Lieblingszitat ] "Leute, die nachts arbeiten, mit denen stimmt was nicht. Die sind nicht normal."
[ Info ] Voskuil, J..J.: Das Büro.
Direktor Beerta. (original language: Niederländisch)
C.H. Beck,
München, 2012
(1996).
ISBN: 978-3-406-63733-9.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Gerd Busse