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Samarkand, Samarkand

Politycki, Matthias

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[ Buchtipp von Beat Mazenauer ] Europa versinkt im Chaos. Von Frankreich her schwappen die Heere des Kalifen über den Rhein, im Osten droht das Panslawische Heer. Einzig die Türkei hält noch zu Deutschland und seinem Kanzler Mehmet Yalçin. Zudem versuchen ein paar „Freie Feste“ über das Land verstreut ihre Unabhängigkeit zu behaupten. Aus einer von ihnen, der Freien Feste Wandsbek, kommt Alexander Kaufner, ehemaliger DDR-Grenzschützer, der Ende der 1980er Jahre vor dem finalen Schuss an der Zonengrenze auskniff und jetzt, 40 Jahre später, die Welt retten soll.
Der in Hamburg lebende Münchner Matthias Politycki mag das Reisen in fremde Welten. Seine Bücher decken weite Teile des Globus ab. Erzählwitz und literarische Technik finden darin immer wieder zu einer verführerischen Balance.
Der neue Roman macht da keine Ausnahme. Die ersten Notizen, schrieb Politycki, führen an seinen literarischen Anfang zurück. Fasziniert von der Seidenstrasse und einem Besuch in Samarkand wollte er schon 1987, vor Erscheinen seines experimentellen Erstlings, diesen Roman schreiben. Zweifellos wäre ein anderes Buch draus geworden. Doch die Faszination für jene Welt hinter den bekannten Horizonten, im Grenzfünfeck von Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Turkmenistan und Tadschikistan verleiht „Samarkand Samarkand“ eine ganz eigene Spannung, deren Knistern bis in die Sätze hinein zu spüren ist.
Alexander Kaufner macht sich also auf, in dem verwunschenen kahlen Turkestangebirge die westliche Welt zu retten. Sein Ziel ist das Grab des legendären Mongolenherrschers Timur. Wenn er es zerstören könnte, glaubt er, wenn er die mythische Kraft seiner Gebeine bannen könnte, dann käme der Vormarsch seiner islamischen Erben zum Erliegen und Deutschland wäre gerettet. Allein es gibt Tausende von Gräbern in diesem weitläufigen Gebirge, deren Geheimnisse zuallerletzt einem Fremden ausgeplaudert werden. Und um diese Gräber herum herrscht die Krieger der „Faust Gottes“, vor der sich Kaufner in Acht nehmen muss.

Seine Marsch über die Berge gerät zu einer rite de passage in einen andern Bewusstseinszustand. Die Zeit bleibt stehen, und Deutschland rückt immer weiter weg. Kaufner erhält keine Nachrichten mehr von drüben. Er ergibt sich der eigenen Logik seiner Suche. Dem ersten Führer, dem treuen Jungen Odina, hat er ohne Grund misstraut, deshalb macht er sich ein zweites Mal allein in die Unwirtlichkeit auf. Einzig in Samarkand weiss er eine Stütze. Shochi, ein wunderliches Mädchen, ist ihm zutiefst zugetan, es ist sein Schutzgeist, soweit es dessen unheimliche Visionen vermögen. So stapft der ehemalige Scharfschütze Kaufner übers wüste Geröll. Mal kauft er sich von Bauern eine Speise ab, mal erhält er Unterschlupf bei Outcasts in einer abenteuerlichen Containersiedlung.

Matthias Politycki begleitet ihn mit einer detailscharfer Präzision und Bildkraft, die das ewige Einerlei vergessen macht. Abgesehen von kurzen Reminiszenzen an die zerstörte Heimat oder an den schrecklichen Timur, breitet er nur kahle Ödnis aus. „Samarkand Samarkand“ entfaltet eine suggestive Wirkung, in der alles in ein funkelndes, grelles Irrlicht getaucht wird, schwebend zwischen Himmel und Erde, zwischen Auftrag und Sinnlosigkeit.

In dieser Vision einer Zukunft, die ums Jahr 2026 herum spielt, spiegelt Matthias Politycki die existentiellen Ängste der europäischen Kultur und Zivilisation, die von einer anachronistischen Kultur förmlich aufgesogen wird. „Samarkand Samarkand“ ist ein Abenteuerbuch, zugleich ist es eine Farce auf dieses Genre.

Am Ende erreicht Kaufner sein Ziel. Allein die Welt ist nicht zu retten, und Erlösung gibt es keine. Verloren steht er in der Ruinenstadt am „Leeren Berg“, über den Lesern kreisen die Adler.

[ Info ] Politycki, Matthias: Samarkand, Samarkand. (original language: Deutsch) Hofmann und Campe, Hamburg, 2013 .


Dieses Buch ist ...

Genre: Roman
Stichworte: Krieg, Zivilisation, Europa, Zukunft
Sprachen (Buchtipp): Englisch, Deutsch


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