Neue Literatur aus Österreich
Incentives - Neue Literatur aus Österreich
readme.cc eröffnet einen mehrsprachigen Zugang zur neuesten österreichischen Literatur. In Kooperation mit dem Literaturhaus in Wien bietet die Leseplattform Einblick in das aktuelle literarische Geschehen des Landes.
LiteraturjournalistInnen und WissenschaftlerInnen stellen aktuelle Neuerscheinungen vor, Leseproben vermitteln kurze Einblicke in die jeweiligen Texte, Kurzporträts der Autorinnen und Autoren ergänzen das Bild.
Das Informationsangebot steht derzeit in fünf Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch.
Das Projekt will zur Internationalisierung österreichischer Literatur beitragen bzw. zur Übersetzung aktueller Texte anregen.
Durchführung: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur (Rezensionen, Autorenporträts) – Übersetzergemeinschaft (Übersetzungen) – readme.cc (Infrastruktur).

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[ Buchtipp von Incentives ] Woher wir kommen, der Titel des Romans von Barbara Frischmuth, wird zur leitmotivischen Frage, die alle weiblichen Hauptfiguren beschäftigt. In drei Kapiteln werden drei Frauenbiografien entworfen, die sich überschneiden, durchkreuzen und ineinander spiegeln. Dabei wird aus der Gegenwart heraus erzählt – diese Gegenwart erklärt sich jedoch erst, wenn man sich die Familiengeschichte(n) und die politische Geschichte, die diese drei Biografien verbindet, Kapitel für Kapitel erliest. Im Fokus stehen drei Frauen: die Künstlerin Ada, mit der der Roman in der Gegenwart einsetzt, ihre Mutter Martha und deren Tante Lilofee. Sie alle verbindet die Erfahrung, einen Menschen verloren zu haben. Adas Freund und Künstlergefährte beging Selbstmord, Marthas Mann verschwand vor 20 Jahren zusammen mit seinem kurdischen Freund spurlos im Ararat-Gebirge, und Lilofees Geliebter, ein ukrainischer Kriegsgefangener, wurde 1944 von ihrem eigenen Vater denunziert und danach in einem KZ ermordet.
Der Roman umfasst 75 Jahre, die Gefühls- und Gedankenwelten der Frauen stehen im Vordergrund. Dabei dürfen Ada und Martha für sich selbst sprechen, das Leben von Lilofee wird jedoch aus fremden Sichten erinnert. Die Autorin montiert Dialoge anonymer Stimmen, die die engen Moralvorstellungen und den Rassismus am Land widerspiegeln. Zudem erfährt man auf diesem (Um-)Weg historische Fakten, etwa über die unbefriedigende Aufarbeitung der Verbrechen im Nationalsozialismus in der Gegend. Der Orient behält die zentrale Rolle, die er auch in früheren Büchern Frischmuths hatte, die Autorin liefert bemerkenswerte nüchtern-poetische Beschreibungen Istanbuls, die dazu dienen, politische Entwicklungen in der Türkei in die Handlung zu integrieren.
Als ein zentrales Thema verbindet die Autorin Mutterschaft oder Kinderlosigkeit mit politischen Zusammenhängen. Hauptthema bleibt aber das Erinnern und Erzählen. So klagt eine der Figuren in einem Gespräch ihre Angst davor, „dass wir schließlich alle im Schacht der Zeit verschwinden“, worauf die andere antwortet: „Du vergisst, dass auch unsere Erinnerungen weiterwandern, das ist der Sinn des Erzählens.“
Kurzfassung der Rezension von Elena Messner, April 2013
Originalversion: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=9855&L
[ Info ] Frischmuth, Barbara: Woher wir kommen.
(original language: Deutsch)
Aufbau Verlag,
Berlin, 2012
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ISBN: 978-3-351-03508-2.