
Die letzte Welt udskrive dette bogtip
[ Bogtip efter Gábor Palkó ] Wie können wir uns einem sprachlichen Kunstwerk nähern, das vor Jahrhunderten, ja vor Jahrtausenden entstanden ist? Welch geheimnisvolle Serie von Vermittlungen und Wandlungen macht das Vererben eines Werkes in der kulturellen Tradition überhaupt möglich? Dies sind besonders dann aktuelle Fragen, wenn wir sie im Zusammenhang mit einem Werk stellen, das selbst von den unendlichen Formwandlungen handelt. Die Metamorphosen Ovids sind nicht nur Rahmen und Vermittler griechisch-römischer Mythen, vielmehr sind auch sie selbst ein literarischer Mythos, der eine unendliche Reihe und einen unendlichen Reichtum an Deutungen, Lesarten und Verwendungen hervorgerufen hat, während er gerade mittels dieser Lesarten zu uns spricht, aus einer Distanz von zweitausend Jahren. In diesen häufig unreflektierten und unmerklichen Prozess fügt sich auch Die letzte Welt. Der Roman von Christoph Ransmayr, der 1988 erschienen ist (die ungarische Übersetzung sieben Jahre später), stellt eine Art Neuformulierung der Metamorphosen dar. Er ist Paraphrase, historischer Roman und Detektivgeschichte zugleich, eine Ermittlung nach den Metamorphosen und deren Verfasser in einer Zeit, die nie existiert hat, die von den Anachronismen nicht zergliedert und gebrochen, sondern geradezu geschaffen wird, von den unvereinbaren Zeitebenen und kulturellen Welten. Der Roman ist ein Netz aus einander tilgenden Fragmenten und Verweisen, in dem sich die antiken Mythen, die christliche Symbolik und die Kataklysmen und Textfragmente übereinander schichten. Die einzige beständige Erscheinung dieser Welt von Immer-und-nie ist der Wandel selbst, die Verwandlung, die selten und oder eben nie Verbesserung bringt, sondern vielmehr Zerstörung, Vernichtung, Zerfall. Es entsteht eine schon immer im Zerfall befindliche „letzte Welt“, die nicht ein einziges neues Element aufweist, sondern die Neuformulierung von etwas Vergangenem darstellt. Das Werk schlägt jedoch begleitend zu diesem Prozess keineswegs einen tragischen Ton an. Er wird dem Leser eher als die Funktionsweise von Zeit, Kultur und Literatur gezeigt, nicht als Diagnose, sondern als Korpus des Werkes, als eine durch die Sachlichkeit des Textkorpus präsentierte und exemplarisch aufgezeigte Mechanik.
[ Boginfo ] Ransmayr, Christoph: Die letzte Welt.
(original language: Deutsch)
Fischer,
Frankfurt, 2008
(1988).
ISBN: 978-3100629395.