New Literature from Austria

Incentives - New Literature from Austria

readme.cc provides multilingual access to the latest Austrian literature. In collaboration with the Literaturhaus in Vienna the reading forum offers the latest insights about literature published in Austria.

Literary journalists and researchers introduce current new publications; reading samples allow for a closer look at the texts; short portraits of the authors complement the picture.

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The Project "Incentives" targets at the internationalization of Austrian literature, respectively the translation of current texts.

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Versuch über die Müdigkeit

Handke, Peter

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[ Knjižni namig pošilja Bernhard Malkmus ] Als Abraham Lincoln am 4. März 1865 für eine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, meinte er während der Zeremonie zu seinen engsten Beratern, er sei sehr müde, er sei „der müdeste Mann der Welt“. Kurz zuvor war seine Wiederwahl noch unwahrscheinlich erschienen, der Bürgerkrieg hatte ihn unbeliebt gemacht, sein General Ulysses Grant war in Virginia in einen verlustreichen Stellungskrieg verwickelt. Dann erreichte Washington die Kunde von General William Sherman’s erfolgreicher Einnahme Atlantas und seinem legendären grausamen „Marsch zum Meer“. Der Krieg war endgültig entschieden. Abraham Lincoln wurde wiedergewählt. Der Zusammenhalt der Union, den die Zauderhaftigkeit seiner früheren Generäle stark auf die Probe gestellt hatte, war durch die Entschlusskraft des müdesten Mannes der Welt gewährleistet. Weniger als sechs Wochen später, am Karfreitag 1865, wird er im Ford Theater in Washington ermordet.

Was hat dieser historische Exkurs bitteschön mit dem österreichischen Schriftsteller und Barden des Balkans, Peter Handke, zu tun?

Als „eine pindarsche Ode auf einen Müden statt auf einen Sieger“ beschreibt Handke seinen „Versuch über die Müdigkeit“. Der schmale Band ist ein Lobpreis auf die von Tätigkeit und kreativer Inspiration Erschöpften: „Die Inspiration der Müdigkeit sagt weniger, was zu tun ist, als was gelassen werden kann.“ (74) Und so müssen wir uns Abraham Lincoln im letzten Jahr des Bürgerkriegs wohl vorstellen – als einen müden Meister der Beschränkung, der weiß, was er lassen kann. Dass er dennoch der Schützenhilfe eines Machers wie General Sherman bedurfte, ist der Teil, den Handke in seiner offenen kunstvollen Weise verschweigt.

Warum dann so ein ungewöhnliches Beispiel wie Abraham Lincoln?

Weil Handke, wie meistens, nervt und zugleich bezaubert, und weil man sich gegen seinen Narzissmus und seine zauberhaften Bilder gleichzeitig zur Wehr setzen muss mit Bildern und Beispielen, die ihn bestätigen, aber dennoch einen Rest des Zweifels lassen und letztendlich nicht aufgehen.

Worum geht es also in dem „Versuch über die Müdigkeit“?

Um die Welt und das Ich und darüber, wie sie in Kontakt miteinander treten. Über das In-der-Welt-Stehen-Müssen, über das Im-Ich-Sein-Müssen. Und vor allem darüber, dass uns die Müdigkeit die einzigartige Chance gibt, beides nicht als ‚Müssen‘, sondern als ‚Dürfen‘, als Möglichkeit zu sehen. Im Grunde ist das Ganze mit seinen philosophischen und poetischen Verzweigungen eine Erotik des In-der-Welt-Seins, eine Selbstvergewisserung, durch die der „Anlass für jene weltvertrauende Müdigkeit klar wird: ein gewisses Hungerhaben. Die Müdigkeit der Sattheit schafft so etwas nicht.“ (59)

Also wieder der alte Handke, der phänomenologische Mystiker, der erotische Asket, der Scharlatan der Bilder. Wird das nicht langweilig?

Solange die Bilder treffen, bewegen, verunsichern und gleichzeitig dieses geheimnisvolle Weltvertrauen schaffen – nein. In seiner Kurzprosa gelingt das immer sehr gut. Das Ganze ist ironisch als eine Art Katechismusbefragung inszeniert, in der ein fiktiver Gesprächspartner oder nüchterner Katechet die philosophischen und poetischen Bilder Handkes durchbricht und ihn zu immer neuen Anläufen zwingt. Das überzeugt und schafft Rhythmus. Handke nimmt den Leser mit nach Andalusien, wo die wichtigsten Passagen des Buchs spielen. Wir sitzen an den blauen Berghängen der Alpujaras oder in den gelben Feldern vor Linares, wir gaukeln uns nicht vor, dass wir uns je verstehen könnten, das Trennende ist auch das Verbindende, „die typisch dahingestammelte [Anschaulichkeit] der Mystiker.“ (76)

Ich dachte, es geht um das Ich und die Welt, nicht um irgendwelche Dialoge mit Menschen?

Ja, es geht um die Dinge, die in der Müdigkeit wieder in Erscheinung treten. In der Müdigkeit lernen wir wieder zu spüren, zu be-greifen, zu schmecken. In der Müdigkeit treten wir wieder ein in einen Zusammenhang des Vertrauens mit der Welt: „So wie das Ding im Augenblick sich zeigt, so ist es nicht bloß, so soll es auch sein.“ (68) Und weiter: „Solche Müdigkeiten wollen geteilt werden.“ Müdigkeit ist etwas Gemeinschaftliches – es verbindet mit gesellschaftlichen Umgangsformen, Gebräuchen und Kulturtechniken. Müdigkeit akzeptiert die „Zuhandenheit“ der Dinge, die Tatsache, dass wir Dinge so wahrnehmen, wie sie uns zunutze sind, als Gemeinschaftswesen. Aber sie erlaubt uns auch, diesen einen Schritt weiterzugehen und die schlichte „Vorhandenheit“ der Dinge als eine Tatsache des Lebens wahrzunehmen und uns daran zu freuen. (Man kann auch ohne Heidegger auskommen, ich weiß, aber hier passen seine Begriffe einfach gut.)

Also ist die Müdigkeit bei Handke doch etwas anderes als die Abgeschiedenheit bei den Mystikern?

Das glaube ich nicht. Auch für Meister Eckehart war das abgeschiedene Leben eine Form des Tätigseins – die ‚vita activa‘. Dadurch dass man nicht abhängig ist von den Dingen, begreift man sie besser und kann sie gleichzeitig lassen, sich selbst überlassen. Der einprägsamste Satz in Handkes „Versuch“ ist „Was ist, wird zugleich.“ (68) Das könnte auch bei Eckehart stehen. Handke beschreibt dies in einer Art Epiphanie, im Bild der Regentropfen auf einem Felsen, aber das musst Du schon selbst nachlesen.

Also liegt in der Müdigkeit etwas vom Spiel der Anziehung und Abstoßung, etwas Erotisches?

Wahrscheinlich. „Der müde Odysseus gewann die Liebe der Nausikaa. Die Müdigkeit verjüngt, so wie du nie jung warst. Die Müdigkeit als das Mehr des weniger Ich.“ (75) Und „der müdeste Mann der Welt“ gewann mit seiner Müdigkeit die Liebe einer halben Nation zurück, um seinen Kampf um die ganze Nation zu vollenden. Ohne Lincolns Müdigkeit hätten wir heute wohl zwei amerikanische Staaten.

Das interessiert Handke aber nicht, oder?

Nein, das nicht, aber es steht im Raum, wenn man mit ihm unter der spanischen Sonne sitzt oder in einem österreichischen Tal oder im Balkankarst. Im Dialog mit Handke und den Dingen hat eben auch Abraham Lincoln seinen Platz.

[ Informacije ] Handke, Peter: Versuch über die Müdigkeit. (original language: Deutsch) Suhrkamp, Frankfurt, 1991 ( ). ISBN: 3518386468.


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Žanr: roman
ključne besede: Amerikaner, Schlaf
Jeziki (Knjižni namig): Nemščina


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Komentarji Zamenjati kronologijo

Karin Harrasser

[ 24.03.08 - 10:57 ] [ Komentar je sestavil Karin Harrasser ] Ich hätte einen Buchtipp zum Buchtipp: Joseph Vogls Büchlein über das Zaudern (http://www.diaphanes.de/scripts/buch.php?ID=108): Es führt eine ganze Parade zögerlicher, müder aber auch fieberhaft träger Figuren von Orest bis Ulrich (aus dem Mann ohne Eigenschaften) vor. Eigentlich schade, dass Lincoln fehlt, denn im Schlusskapitel fragt Vogl, ob dem zeitgenössischen immer auf das nächste target ausgerichteten Tatmenschen-Politiker nicht das Flirren und Oszillieren des Zauder-Menschen fehlt.






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