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Carolina Schutti – Eulen fliegen lautlos


Leseprobe:

10.

Über Nacht ist es kalt geworden. Ein eisiger Wind pfeift durch die lichten Stämme, der Jungwald ist hier kaum kniehoch. Die weiß angestrichenen Spitzen der kleinen Bäume lehnen sich gegen die rostigen Stäbe, die ihnen Stütze und Schutz vor gefräßigem Rotwild sind.
Jakob hat seine Kapuze über den Kopf gezogen, er geht hinter seinem schweigenden Vater her. Bis auf den Wind und ihre Schritte hört man keinen Laut, nicht einmal aus Vaters Rucksack, in dem sonst die Salzlecksteine für das Wild bei jedem Schritt gegeneinander schlagen. Die Sohlen brechen rhythmisch durch den Harsch, der Vater dreht sich nicht nach dem Kind um, er weiß, dass es wenige Schritte hinter ihm geht, er will es nicht anschauen, warum sollte er. Diese Augen, dieser verkniffene Mund, bis zum Abend wird sich der Blick gelöst haben, das ist immer so.

Schritt für Schritt stapft der Vater durch den Schnee, kleine Vertiefungen deuten den Weg an, den sie vergangene Woche gegangen sind. Doppelt so lange wie im Sommer brauchen sie für die Runde, sind den ganzen Nachmittag unterwegs.

Der letzte Futterstand ist in Sichtweite, Jakob ist müde, ihm ist kalt. Aus der Ferne sieht er neben der Raufe ein dunkles Bündel liegen, es ist kein Holzstoß, kein ausgestreutes Heu. Der Vater beschleunigt seinen Gang, er hat es also auch gesehen, eine Aufregung wird es geben, das weiß Jakob in dem Moment, als der Vater seinen gebeugten Rücken durchdrückt und die Handschuhe in die Jackentaschen steckt.
Ein Kadaver liegt im Schnee, ein Kitz. Der Vater berührt es zuerst mit der Schuhspitze, bückt sich dann, dreht das Tier um. Keine Bissspuren, keine Verletzung. Bis auf die Abdrücke der Hufe sind auch keine anderen Tierspuren zu entdecken.
Jakob steht einige Schritte entfernt, weißer Hauch steht vor seinem Mund.
Komm her, schau zu!, brüllt der Vater, das passiert, wenn man zu wenig isst.
Er zieht Jakob am Arm zu sich her, reißt ihm den Handschuh herunter und drückt Jakobs Hand gegen die Rippen des Tiers, boxt ihn durch die Winterjacke hindurch auf den Brustkorb und schreit plötzlich nicht mehr, sondern lacht.
So ist das, so. Und jetzt?
Der Vater fragt laut in Jakobs Ohr hinein, doch das Kind bleibt stumm, schaut nur, zieht nicht einmal den Handschuh wieder an.
Der Vater weiß genau, dass Jakob nicht antworten wird, aber er fragt trotzdem so laut in sein Ohr hinein, dass es schmerzt. Soll der verdammte verkniffene Blick ein Angstblick sein vor dem Kadaver und vor seinem lauten Wort.
Der Vater zieht den Salzstein aus dem Rucksack und legt ihn selbst zur Futterstelle, lockert mit beiden Händen das Heu, schaut ein bisschen herum. Dann wirft er sich das tote Kitz über die Schulter und bedeutet Jakob mit einem Zucken des Kinns, den leeren Rucksack zu nehmen.

Der Handschuh liegt noch im Schnee, Jakob bückt sich erst, als der Vater an ihm vorbeigegangen ist, die Hand ist so kalt, dass er das Innenfutter nicht mehr spürt. Weich müsste es sein, warm, wie an der anderen Hand.
Rascher als vorhin geht es jetzt, der Vater macht große Schritte in der eigenen Spur.
Jakob bleibt zurück, doch der Vater stapft weiter, dreht sich nicht nach ihm um.

(S. 47ff)

© 2015 edition laurin, Innsbruck

 

 

 

 

 

 

 

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