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Norbert Gstrein: Die Winter im Süden.

München: Carl Hanser Verlag 2008.
284 S.; geb.; Euro 19,90.
ISBN 978-3-446-23048-4.

Link zur Leseprobe

Marija, gerade 50 Jahre alt geworden, führt mit ihrem Mann, einem Wiener Starjournalisten, eine schlechte, an ihr Ende gekommene Ehe. Während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien geboren, floh sie mit ihrer Mutter 1945 nach Wien. Den Vater, einen Antikommunisten – anzunehmen, dass er für die faschistische Ustascha kämpfte – glaubt sie tot. Doch dem war bei Kriegsende die Flucht nach Argentinien gelungen, wo er eine neue Familie gründete und es als Spediteur zu einigem Reichtum brachte. Er, der im Roman immer nur der Alte genannt wird, ist ein Krieger geblieben, ein Soldat in der Warteschleife, der sich freut, als 1991 der Jugoslawienkrieg ausbricht, weil er glaubt, die 1945 verlorene Schlacht gegen die Kommunisten doch noch gewinnen zu können. Er sammelt mit alten, ebenfalls nach Argentinien geflohenen Mitstreitern Geld für die kroatische Sache, nimmt sich den Wiener Ex-Polizisten Ludwig – die dritte Hauptfigur des Romans – als Bodyguard und Adjutanten und macht sich, kurz nachdem auf jugoslawischem Boden die ersten Schüsse fallen, auf nach Zagreb, um im Krieg mitzumischen.

Nach Zagreb hat sich auch Marija geflüchtet, allerdings aus anderen Motiven. Einerseits probt sie damit den Aufstand gegen ihren sie bevormundenden Mann, andererseits zieht sie eine unbestimmte Sehnsucht nach ihrer Heimat und ihren Wurzeln in das nunmehrige Kriegsland. Sie findet eine Arbeit als Sprechstundenhilfe und lässt sich auf ein Verhältnis mit einem jungen Soldaten ein. Der Autor wird – so viel sei vorweggenommen – dem Leser die in der Geschichte angelegte Begegnung zwischen Vater und Tochter verweigern.

Norbert Gstrein bewegt sich in seinem neuen Roman "Die Winter im Süden" auf gewohntem Terrain: Wie in "Das Handwerk des Tötens", 2003 erschienen, thematisiert Gstrein den Jugoslawien-Krieg, diesmal aber tangiert er ihn nur. Greifbar wird der Krieg kaum, wie auch die Schauplätze des Buchs – Zagreb, Wien, Argentinien – seltsam farblos bleiben.

"Die Winter im Süden" ist – um ein wenig polemisch zu werden – in typischer "Hanser-Manier" geschrieben: ordentlich, rund und souverän erzählt, auf einem anziehenden Plot fußend; keine auf Massen zugeschnittene Ware, aber doch nicht zu schwer, um im Urlaub im Strandliegestuhl gelesen zu werden; Literatur, die nicht weh tun will, sondern unterhalten, dies aber niemals zugeben würde; Literatur für die Mitte.

Wo, und das ist das Hauptmanko des Buchs, sind die Ecken, Kanten und Brüche, an denen sich der Leser reiben könnte? Wo bleibt sein Interpretationsspielraum? Warum hält Gstrein den Leser, indem er viel zu viel erklärt, an der kurzen Leine? Das zweite Manko: Zu eindimensional, zu klischeehaft sind die Figuren gezeichnet, um ihnen etwas abgewinnen zu können: Natürlich hat der unsympathische Alte eine viel jüngere Frau, natürlich ist diese ein Ex-Model, natürlich schläft sie mit Ludwig. Natürlich hat einer, dem der Krieg alles ist, einen Schießstand im Keller und zwei scharfe Hunde. Natürlich geht Marija in Kroatien sofort ein (keineswegs zärtliches) Verhältnis mit einem Soldaten ein. Natürlich hat sich ihr Mann von einem idealistischen linken 68er-Revoluzzer in einen zynischen, selbstverliebten, besserwisserischen, opportunistischen Starjournalisten verwandelt. Natürlich wurde Ludwigs Geliebte, eine Polizistin, durch seine Schuld getötet. Solch eine Figurenzeichnung bewegt sich – mit Verlaub – auf "Tatort"-Niveau.

Es ist und bleibt unbestritten, dass Norbert Gstrein ein Könner, ein Großer unter den deutschsprachigen Autoren ist. Aber wer diesen Anspruch hat, der muss auch an diesen hohen Maßstäben gemessen werden. So gesehen enttäuscht sein neues Buch. Nach einem vielversprechenden Beginn, einer interessanten, fesselnden Ausgangsposition verliert der Roman schnell an Kraft. Bald sind die Figuren auserzählt. Gelähmt sind sie, weil Gstrein ihnen eine Entwicklung versagt. So schleppt man sich durch die Handlung und ist am Ende weder überrascht noch berührt, als eine der Hauptfiguren getötet wird. In einem Interview meinte Gstrein über seine Figuren, sie seien "eingefroren in einem Vorher, und wenn sie aufgetaut werden, stellen sie fest, dass es schon nachher ist." – Taugen solche Figuren dazu, einen Roman zu tragen?

 

Peter Landerl
3. September 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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