Leseprobe:
Es gibt mich. Selbst-
verständlich ist das nicht.
Das Herz ist eine geduldige Uhr.
Die Hand hält es fest.
Im Gedicht.
Das Gedicht ist ein zorniges Herz.
Die Uhr geht nach.
Der Hand voraus.
Die Uhr ist ein tickendes Gedicht.
Hand aufs Herz.
Wer fälscht die gefälschten Erinnerungen? Bin ich es selbst, wenn ich etwas aus meiner vermeintlichen Vergangenheit jedes Mal ein bisschen anders erzähle? Bin ich es, die die Erinnerungen einem stetigen Umbau unterwirft? Das kommt vor. Auch deswegen sammle ich Belege in Form von Fotografien, Erzählungen und Briefen.
Sind meine Erinnerungen unter fremden Erinnerungen versteckt, unter Erinnerungen, die sich selbstständig gemacht haben und die Welt auf eigene Faust durchstreifen? Solche Erinnerungen sind gemeinfrei und fügen sich oft recht unauffällig in eigene Erinnerungen ein. Gelegentlich nehmen sie auch den Platz anderer, vormals eigener Erinnerungen ein, die sich selbst auf Wanderung begeben haben.
Wie kann ich wissen, ob meine Erinnerungen tatsächlich aus meiner eigenen Vergangenheit stammen?
Manchmal gar nicht.
(S. 71)
© 2021 Ritter Verlag, Klagenfurt