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Franzobel: Wiener Wunder. Kriminalroman

 

Leseprobe:

Groschen schaufelte die Meeresfrüchte in sich rein und war zufrieden. Von der Gastritis war nichts mehr zu spüren. Klar, jetzt wo er den Fall durchschaut hatte, ging es ihm auch körperlich gleich wieder besser. Die Minderheit in ihm, die von einem Glückstag sprach, bekam die Oberhand. Er fühlte sich so unverwundbar wie schon lange nicht. Die Suppe ließ er über, dafür trank er noch ein zweites Bier. Um dreizehn Uhr bezahlte er. Wieder gab ihm die Kellnerin zu wenig raus. Egal. Er schlenderte im fast frühlingshaften Wetter Richtung Schwedenplatz, wo bereits ersten Weihnachtsdekorationen aufgebaut wurden.
Der Kommissar stieg in ein Taxi und ließ sich in die Proschkogasse bringen. Abermals ging es vorbei am Schwarzenbergplatz, am Hotel Imperial, der Oper, Secession, dem Naschmarkt. Der Kommissar hatte auch heute keine Augen für die Sehenswürdigkeiten. Während draußen Menschen mit geschäftigen Gesichtern durch die Straßen eilten und drinnen der Taxifahrer über die Dummheit der anderen Autofahrer schimpfte, dachte Groschen an den toten Sportler, der wie ein zusammengefahrener Hund auf der Schräge vor dem Haus gelegen war, mit der rechten Wange auf den Pflastersteinen in einer kleinen Blutlache. Der Kommissar sah Bilder von Wenningers absurd verbogenen Gliedmaßen, die ihn an eine brutal entstellte Marionette erinnert hatten, die versuchte, mit dem Pflaster zu kopulieren. Bilder von ihm im Obduktionssaal. Die klaffende Wunde am Haaransatz, die erst quittengelbe, dann bräunliche Haut, die marmorierte Masse namens Hirn. Er dachte an die Analyse des Mageninhaltes, um die er den Gerichtsmediziner Bangerl gebeten hatte. Da war von Resten einer Pizza, Cola und einem Stück Fisch die Rede, was der Kommissar für ein recht bemerkenswertes Frühstück hielt. Außerdem war im Blut des Toten jede Menge Serotonin gefunden worden. Jemand, der so viele Stimmungsaufheller geschluckt hat, so Bangerl, begeht normalerweise keinen Selbstmord. Aber was war schon normal?
Heute deutet in der Proschkogasse nichts mehr auf den Tod des 400-Meter-Läufers hin. Am Eisenrohr oberhalb der Schräge waren Fahrräder befestigt, und da, wo zu Beginn der Woche die Leiche gelegen war, stand nun eine leere Kekspackung. Niemand hatte, wie es bei Verkehrstoten üblich war, Blumen oder Kerzen gebracht – nur diese zufällig hingeworfene Kekspackung stand da wie ein einsames, absurdes Mahnmal.

(S. 157ff.)

© 2014 Zsolnay Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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