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Leseprobe: Viktorija Kocman - "Ein Stück gebrannter Erde."



Etwas später bin ich bei Dr. Frank. Er sitzt, wie immer, teilnahmslos in seinem Sessel und sieht durch mich hindurch. "Wie es aussieht, bin ich jetzt verlobt", sage ich, ohne sein Frage nach meinem allgemeinen Befinden abzuwarten [...]
"So? Erzählen Sie." Er hebt seine dicken Augenbrauen.
"Er ist Kosovoalbaner". Der Satz entschlüpft mir unwillkürlich, und ich will ihn am liebsten wieder einfangen, aber das ist jetzt nicht mehr möglich, Frank wird schon seine Schlüsse daraus ziehen und die Therapie um weitere sechs Monate verlängern. Stille breitet sich im Zimmer aus und füllt jeden Winkel. Ich habe keine Lust mehr zu reden, für mich ist damit alles gesagt.
"Und weiter? Erzählen Sie mir von ihren Gedanken, Marina." Er bricht die Stille, bemüht sich, seine Ungeduld nicht zu zeigen. Möglicherweise hat er heute, so wie ich, einen seiner schlechteren Tage, vielleicht verflucht er insgeheim die Bürde, die er trägt, sich ausgerechnet meine Probleme anhören zu müssen, Probleme, die er nicht versteht, die ihn letztendlich nichts angehen.
"Wir leben schon sehr lange zusammen. Schon während des Krieges in Bosnien. Ich habe niemals mit Ihnen darüber gesprochen, finden Sie das nicht merkwürdig?" Ich sehe ihn direkt an, aber ich weiß, dass er das nicht seltsam findet.
"Die Frage ist, warum Sie das merkwürdig finden." Er wirft den Ball zurück, er kann keine Antwort auf diese Frage finden, weil es keine Antwort gibt für jemanden, den der Krieg nicht betrifft.
"Ich bin Serbin. Ich wurde in Belgrad geboren. Sehr oft habe ich mir gewünscht, jemand anders zu sein. Oder dass die Welt anders wird. Die schiefen Blicke, das Entsetzen, wenn man von der Herkunft spricht."
"Das ist nicht Ihre Schuld oder? Niemand kann sich die Familie aussuchen, in die er hineingeboren wird. Erklären Sie mir, was Ihre Herkunft mit Ihrem Verlobten zu tun hat."
"Ich komme mir ein wenig wie eine Verräterin vor. Bisher betraf es nicht unsere Völker. Seine Eltern sind in Pristina, meine ein Belgrad. wir gehören zwei entgegengesetzten Lagern an. Bisher waren es die Serben gegen die Kroaten und gegen die Moslems in Bosnien. Das betraf uns nicht direkt."
Dann fällt mir nichts mehr dazu ein. Ich sehe Frank an und er sieht mich an und schweigt verständnislos. Rassismus und Nationalismus sind nicht seine Themen, er liebt eher Depressionen, Panikattacken und Schizophrenie. Ich lege mich auf dem Sofa hin und starre die Decke an. Wir werden nach Hause fahren. Ich nach Belgrad, Armin nach Pristina, jeder in das eigene Lager. Auf der Rückfahrt werden wir uns im Zug treffen und so tun, als wäre nichts passiert. Wir werden heiraten und die entsetzten Blicke unserer Familie ignorieren, meine Mutter wird tief entrüstet seufzen und mich traurig ansehen, mein Vater wird sagen, dass Armin ein guter Junge ist. Ich weiß nicht, wie Armins Eltern reagieren werden, ich kenne sie immer noch nicht, und das sagt schon alles darüber. Wir werden uns in Wien verkriechen und kleine Babys bekommen, wir werden hoffen, dass die ganze Aufregung vorbei ist, bevor uns klar wird, wie sehr sich unsere Völker verabscheuen.
Frank bleibt schweigend sitzen, wartend.

(S. 40f.)

© 2003, Milena, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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