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Josef Winkler: Leichnam, seine Familie belauernd.

Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.
156 S.; brosch.; Eur[A] 7,20.
ISBN 3-518-12442-0.

Link zur Leseprobe

Dort wo du bist, dort ist der Tod! - Das beweist Josef Winkler allemal mit seinem neuen Buch "Leichnam, seine Familie belauernd", einer Sammlung von an die achtzig Prosaminiaturen, in denen er wieder einmal mit voyeuristischem Blick, aber auch selbstentblößend dem Tod auf der Spur ist.
Das mag nicht verwundern, denn in den letzten zwanzig Jahren, in denen wir Winkler literarisch begegnen durften, hatte er das nur allzu deutlich zum Ausdruck gebracht: "Bei den Toten bin ich gerne, sie tun mir nichts und sind auch Menschen" (S. 45).

Wiederum ist Winkler als Knochensammler unterwegs, gräbt mit jeder seiner Geschichten neue Leichenteile aus und setzt schließlich die sterblichen Überreste zu einem Textkörper zusammen, den er in/als "Leichnam, seine Familie belauernd" kunstvoll aufgebahrt präsentiert.

Winklers Totentanz wird mit einem klappernden Knochengerüst aus dem Naturgeschichteunterricht eröffnet, vor dem der Erzähler aus Angst erstarrt, weil er dem leibhaftigen Tod gegenüber zu stehen meint. Dass es sich bei dieser Episode um eine von Winklers Kindheitserinnerungen handelt, geht bereits aus der Einleitung hervor, die das Bild des menschlichen Skeletts mit der Lebensgeschichte des Autor verschränkt: "Der allerschönste und allerschlimmste Ort, an dem ich mich aufhalte, ist immer noch mein Gestell, mein Knochengerüst, in dem ich hause seit Anfang März des Jahres 1953, aber ich war mit ihm und mit mir auch einige Zeit im indischen Varanasi, in Rom, Berlin, Paris, Venedig, in Frankfurt, in Biel und anderswo zu Hause" (S. 9). Winkler stellt also den Knochenmann an seine Seite, wählt ihn als seinen Gefährten auf der Reise aus seiner Kärntner Heimat hinaus nach Wien, Berlin und Rom bis an die Ufer des Ganges. In "Leichnam, seine Familie belauernd" sucht Josef Winkler alle diese Orte noch einmal auf, wobei er in alter Manier Beobachtetes und Imaginiertes so sehr verknüpft und sprachlich erfundene Bildkompositionen so fest in der Wirklichkeit verankert, dass die Grenzen zwischen Realem und Fiktivem ins Schwanken gebracht werden.

Wir dürfen ihn dabei auf seinen Lebenswegen und Abwegen begleiten und den literarischen Spuren folgen, deren Fährte er selbst in seinem bisherigen schriftstellerischen Schaffen gelegt hat. So suchen wir nicht nur bereits bekannte Orte und Schauplätze auf, sondern begegnen auch den Protagonisten aus den Texten des Autors. Winkler schreibt hier gleichsam die Lebensgeschichte seines Heimatdorfes Kamering vom Ende her als Sterbensgeschichte weiter, knüpft sich nochmals den Kalbstrick der jugendlichen Doppelselbstmörder um seinen eigenen Hals, um als Dritter im Bunde vom Trambaum zu baumeln und wickelt schließlich die bitteren Orangen in das knisternde Papier der Moroblutorangen. Ins Zentrum seiner Textsammlung stellt er neben einer Fotografie mit seinem Abbild als konkret-biografisches Indiz seiner Indienreise auch seine schriftlich fixierten Eindrücke von den Ufern des Ganges. Zwischen Scheiterhaufen, Tierkadavern und Meinl Plastiksackerln lässt er erneut Leben und Tod im heiligen Fluss zusammenfließen.

Der Bilderkosmos, den Winkler in "Leichnam, seine Familie belauernd" entwirft, ist uns bestens aus seinen bisherigen Büchern vertraut. Winklers Erfahrungshorizont, den er bereits dort offenbart, wird kaum erweitert. Vielmehr scheint der Autor in seinen bereits vollgeschriebenen Notizbüchern geblättert zu haben, um altes Material für ein neues Buch verwerten zu können. Die sprachlichen Totgeburten seiner früheren Texte werden mit dem Skalpell der Sprache von Neuem seziert, die Sätze der Textleichen vielleicht zum einundzwanzigsten Mal umformuliert (und nicht zerstört), bis sie mit neuen Metaphern versehen aus dem Lotosblütenteich geborgen, auf schmucke Totenpölsterchen, hundsveilchenviolett, gebettet und mit Lourdes Weihwassertropfen besprengt werden können. Wären Winklers Tote, diese verfluchten Toten, nicht so kunstvoll beschrieben, seine nekrophilen Hymnen, in denen die Räume der Todessehnsucht zu Orten der Liebe erklärt werden, nicht so schön zu lesen, dann würde man Winkler folgenden Ausruf, den er auf dem römischen Markt auf der Piazza Vittorio Emanuele aufgeschnappt hat, am liebsten selbst entgegen schleudern. Li mortacci tua! - Deine verfluchten Toten!

 

Stefan Krammer
23. Juli 2003

Originalbeitrag

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