Herausgeber der Reihe: Herbert Kapfer
ISBN 3-934847-70-6
Spielzeit: ca. 67 Min.
München: intermedium records, 2002. (intermedium rec. 014)
Im einzelnen:
13 radiophone texte
Realisation: Ernst Jandl
Produktion: BBC 1966
Spielzeit: 26:43 Min.
das röcheln der mona lisa. ein akustisches geschehen für eine stimme und apparaturen
Regie: Ernst Jandl
BR/HR/NDR 1970
Spieldauer: 25 Min.
das röcheln der mona lisa. einführung in ein hörspielexperiment
Sprecher: Ernst Jandl
Produktion: BR 1970
Spieldauer: 15 Min.
Druckfassung des Rundfunkmanuskripts unter dem Titel:
Darüber etwas zu sagen. Bemerkungen zum Hörspiel "das röcheln der mona lisa". In: Protokolle, 1977, H. 2. S. 243-246.
"daß das schöne von einst von uns das schöne von heute verlangt, so wie das schöne von einst das schöne eines einstigen heute gewesen ist". Mit diesem Satz hat Ernst Jandl (1925-2000) einen der zentralen Beweggründe für sein Werk insgesamt wie etwa auch für seine Hörspiele im Einzelnen auf den Punkt gebracht. Wie weit dieses Verlangen des Schönen von einst allerdings gehen kann/muss, nämlich bis zur völligen Zerstörung dieses Schönen selbst, war unter den gesellschaftlichen und kulturpolitischen Voraussetzungen der 50er, 60er Jahre schwer einsehbar. Als Kehrseite ihrer eigenen Gangart führen insbesondere Jandls frühe Gedichte und Texte gleichzeitig das Röcheln eines abgestandenen Schönheitsbegriffs vor, der sich im Bild der lieblichen Mona Lisa und ihres ewigen Lächelns ikonisiert hatte. 1970 realisierte Jandl ein Hörspiel, dessen Titel nunmehr als Abbreviatur dieser impliziten Kampfansage seines Werks gelten kann: "das röcheln der mona lisa. ein akustisches geschehen für eine stimme und apparaturen."
Die vorliegende CD vereint eine frühe Aufnahme des inzwischen legendären Hörspiels sowie eine von Jandl selbst für den Rundfunk gesprochene Einführung mit dessen frühen "13 radiophonen texten" und rekonstruiert damit einen äußerst spannenden Zusammenhang. Denn die "13 radiophonen texte", die Jandl 1966 für das BBC London gesprochen und bearbeitet hatte, stellen nicht nur für sich genommen exzellente Kunststücke "im Grenzbereich zwischen Dichtung und Musik" dar. Sie brachten darüber hinaus etwas ins Rollen, was den Experimentator schließlich zu einer Reihe von Hörspielen anregte, nach "Fünf Mann Menschen" (gemeinsam mit Friederike Mayröcker) auch zu "das röcheln der mona lisa".
Neu für Jandl war bei der BBC-Aufnahme seiner Gedichttexte die Dimension des Mediums selbst. Die Zusammenarbeit mit zwei Technikern ermöglichte es ihm, die eigene Stimme zu bearbeiten und sie durch ein Stimmencluster zu erweitern. Technisch lässt sich Stimmmaterial aus dem Textmaterial der gesprochenen Gedichte kopieren, zerschneiden, recyceln, weiterentwickeln oder abwandeln. So hat Jandl für seine 13 Gedichte mit Hilfe technischer Apparaturen ein Soundbett erzeugt, das er teils als instrumentale Begleitung, teils als herausfordernde Kontrastierung zur Hauptstimme einsetzt. Dennoch bleibt der Einsatz technischer Mittel sparsam, mitunter beschränkt auf die Stimmverstärkung. Entscheidend sind jedoch die neuen Möglichkeiten der Montage. Hatte Jandl mit seinen Gedichten bereits vielfältige Montageverfahren auf der Mikroebene der Sprache entdeckt und angewandt, so setzte er nun neue, radiophone Montageformen ein, die durch Übereinanderschichtung, Verschachtelung oder Vervielfältigung von phonetischem Material zustande kommen.
Damit griff Jandl nicht nur in nuce seinen Hörspielen vor, in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden bezeichnet er - exemplarisch für viele - sein Gedicht "schtzngrmm" (auch unter den "13 radiophonen texten" zu hören) "einfach ein noch kürzeres Hörspiel". Diese Affinität der (experimentellen) Gedichte zu einem Hörspiel, wie es in entscheidendem Maße erst durch Jandls und Mayröckers Pionierarbeit möglich geworden ist, gab einen wesentlichen Impuls für die Entdeckungen der Folgejahre. Tatsächlich ist das erste umgesetzte Hörspiel aus einer Auseinanderreihung von Sprechgedichten entstanden. Auch "das röcheln der mona lisa" setzt sich aus Fertigteilen zusammen und entstand durch die inzwischen bewährte Methode des "Wühlen[s] in Vorräten: den eigenen Büchern, den Manuskripten, den Abfallhaufen von Einfällen, Notizen und Gekritzeltem". Das führt beim Anhören des Hörspiels zu Wiedererkennungseffekten: "vom vom zum zum", "tell me nelly", "ich bin din" ..., doch ebenso zu Verblüffungen aufgrund der neuen Kontextualisierung.
Die Montagefähigkeit der Gedichte und ihre Eignung zur polyphonen Orchestrierung dachte Jandl wesentlich aus dem Medium des Rundfunks selbst heraus. Seine radiophonen Texte wie seine Hörspiele, das hört man aus ihnen heraus, sind dezidiert fürs Ohr gefertigt, eine Übersetzung ins Visuelle, wie es für ein traditionelles Verständnis dieses Genres typisch ist, lassen sie nicht zu. Mehr jedoch als dass sie Teil eines "Neuen Hörspiels" (so das Modewort der 60er Jahre) sein wollten, haben sie tatsächlich eine Befreiung des Hörspiels und Öffnung des Ohrs bewirkt. "hörspiel" als "ein doppelter imperativ" (Jandl/Mayröcker) aufgefasst richtet sich gleichermaßen an AutorIn wie HörerIn und begreift sich als aktiv-passive Haltung: Hinhören und Spielen (mit dem Material).
Diese Haltung beschreibt Jandl als Voraussetzung, um sich auf die Überraschungen einlassen zu können, die seine akustische Welt zu bieten hat. "ich / dir / machen / an mir / halsüberraschung". ... "sprachüberraschung", ... "farbüberraschung", und schließlich "temperaturüberraschung". Überraschungen werden so zum strukturierenden Moment in "das röcheln der mona lisa". Als Pendant zum Ohr ist die gesprochene Sprache das Material des Hörspiels, die Stimme - der Einzelstimme ist ein Chor eigener Stimmen gegenübergestellt - in ihrem vollen Spektrum. Das Konzept der (gesprochenen) Sprache als etwas Körperliches und des Körpers als Sprachorgan setzt Jandl in "das röcheln der mona lisa" auf eine leichtfüßige und zugleich höchst irritierende Weise um. Die Leichtigkeit wird durch die gestochene Klarheit und Durchsichtigkeit seiner spielerischen Technik der Stimmspaltungen und -klitterungen verbürgt, die Irritation kommt durch die rücksichtslose Entgrenzung seiner "verbale[n] Genmanipulation" (Franz Mon) zustande. Die ganze Verletzlichkeit der Stimme bis hin zum Verstummen wird hier offen gelegt. Wenngleich simuliert, wie Jandl (in der gesprochenen "einführung") mit Ironie auf die pragmatische Schonung des eigenen Kehlkopfs hinweist, werden dem/der HörerIn mit einem geradezu bekömmlichen Galgenhumor Stimmproben bis hin zur Zerstörung des Sprachzentrums zugemutet. "schöner sterben!" - so der kontrapunktische Slogan zum Titel vom "röcheln" - wird als Schöpfungsvorgang mit umgekehrten Vorzeichen vorgeführt: "nimm immer wieder das gleiche / und mach daraus eine leiche".
Einst wurde Jandl von einem prominenten deutschen Verleger bescheinigt, ein "Lyriker ohne eigene Sprache" zu sein, ein Etikett, das er sich polemisch zu eigen machte. Es scheint, als ob er mit seinen Hörstücken, insbesondere mit "das röcheln der mona lisa", auf paradoxe Weise, auch ein Konzept eines "Sprechers ohne eigene Stimme" umzusetzen beabsichtigte. Analog zu seinem Programm der "heruntergekommenen Sprache" zeigt Jandl auch die Stimme in einem Zustand der Brüchigkeit, als heruntergekommene und beschädigte.
Originalbeitrag
Martin Reiterer
4. Februar 2003
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