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Der Standard

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Elfriede Jelinek, Olga Neuwirth: Todesraten



Hörstück nach zwei Monologen von Elfriede Jelinek
Mit Marianne Hoppe und Daniel Morgenroth
Kontrabaß: Uli Fussenegger
Saxophon: Pierre-Stephane Meugé
Baßklarinette: Ernesto Molinari
E-Gitarre: Burkhard Stangl
Spielzeit: 57:59 Min.
Egling: col legno, 1999

"Mit dem Hören spielt man nicht", warnt Elfriede Jelinek und nimmt darin gleich die Ironie vorweg, die sie ihrem Spiel mit Medium, Sprache und Hörer zugrunde legt.
Das Hörspiel hat für Jelinek seit Beginn ihrer schriftstellerischen Arbeit einen großen Stellenwert. Ihre beiden ersten Hörspiele "Wien - West" und "wenn die sonne sinkt ist für manche schon büroschluß", wurden 1972 ausgestrahlt - ihr erstes Buch, "wir sind lockvögel baby", ist soeben erschienen. Viele ihrer Hörspiele schreibt sie vor den Theaterstücken, "Clara S." heißt als Hörspiel "Frauenliebe - Männerleben", "Krankheit oder moderne Frauen" begegnet uns im Radio als "Erziehung eines Vampirs". Auch der Roman die "Ausgesperrten" erscheint zuvor in der Hörspielfassung.

Anders "Todesraten": Textgrundlage dieses Hörstücks sind zwei Monologe aus dem "Sportstück" (Uraufführung 1998 am Wiener Burgtheater). Die formbestimmende Montage und die Überlagerung der Texte stammen von der Komponistin Olga Neuwirth. Es ist keine "Literaturvertonung", sondern vielmehr ein "'komponierter' Sprechtext" (Bernhard Günther), der durch instrumentale und elektronische Klänge überlagert wird.

Im Titel des Stücks "Todesraten" klingen Ingeborg Bachmanns "Todesarten" an. Das ICH in Bachmanns Roman "Malina" verschreibt sich und notiert "Todesraten". Die beiden Jelinek-Monologe handeln vom Tod und der Tödlichkeit des Sports bzw. vom Töten als Sport, wie eben im Monolog der alten Frau, die durch Kleinanzeigen alleinstehende Rentner sucht, die sie dann mit ihrer Fürsorge umbringt. Sie stellt überzeichnet das mütterliche Sorge-Grundbedürfnis dar, eine der wiederkehrenden Thematiken bei Elfriede Jelinek:
"Was ich allein an Gift- und Schadstoffen verbraucht habe, damit die andern alle nicht mehr atmeten! Der Straßenverkehr ist nichts dagegen, und der treibt schon einen gigantischen Aufwand. Ich töte mit Essen auf Rädern, ich töte mit Wasser auf Kufen! Das Töten ist einfach mein Lieblingssport, bei dem sich Schweiß mit Blut und Exkrementen verbindet. Später werde ich vielleicht andere Sportarten ausüben können, bei denen ich sauber bleiben kann. Noch aber bohre ich mich in den anderen hinein wie ein Torpedo. Ist beim Golf, beim Segeln, beim Tennis, die Berührung mit einem anderen Körper bereits vollkommen unnötig geworden, so übe ich meine Lieblingssportart, das Töten, ja geradezu inmitten des anderen Körpers aus." Ihre Überzeugung ist aber, "daß es im Grunde mein Sprechen ist, das wirkt".

Die Sprechpassagen der alten Frau untermalt Olga Neuwirth mit elektronischer Musik. Die tiefe, mal flüsternd, mal säuselnd rezitierende Stimme von Marianne Hoppe fungiert als Instrument innerhalb der Musik, durch die die groteske Dramatik der Erzählung zusätzlich hervorgehoben wird. Ihr hybrider, rauer Klang penetriert den Zuhörer mit einem ununterbrochenen Wortfluss:

"Wenn Sie mich schon so vertraulich anreden, dann ziehe ich meiner Stimme gleich die Schlittschuhe an und fahre in Sie hinein!", droht die alte Frau am Anfang ihres Monologs, als ob ihre Stimme das Werkzeug ihrer mörderischen Taten wäre. Marianne Hoppes faszinierend modulierende, eindringliche Stimme - die Schauspielerin ist zum Zeitpunkt der Aufname rund 85 Jahre alt - bestimmt im Stück den Grundton, ihre lakonische Erzählung wechselt sich mit dem redseligen, klagenden Monolog des toten Andi, gesprochen von Daniel Morgenroth, ab. Dieser Kontrast ist besonders auffällig, wenn die Komponistin an manchen Stellen die beiden Stimmen gleichzeitig rezitieren lässt, wobei die Stimme der Witwe zu einer begleitenden, durchdringenden Musik wird, die ihre Erzählung durchsetzt. Ein formeller Kontrast, der das divergente Handeln der beiden Figuren wiedergibt: Mord an fremden Körpern als Sport ausüben (alte Frau), Mord am eigenen Körper durch Sport ausüben (Andi).

Andi ist ein Bodybuilder aus der Provinz, der durch das Streben seinem Vorbild Arnie - Arnold Schwarzenegger - zu ähneln, am Überkonsum von Anabolika stirbt:
"Ich bin der Andreas von der Pack, guten Tag. Ich tue mir jetzt, da ich tot bin, schon ein bisschen leid. Ich habe so nachhaltig an mir herumgebessert und dann das!"

In das Loben des Idols, das Klagen über sein Schicksal und das Bereuen, sein Ziel im Leben nicht erreicht zu haben - "Ich ich ich wurde an anderen gemessen, doch ich ich kannte mein Maß persönlich! Es hieß Arnie, und fast hätte ich es erreicht!" - mischt die Komponistin auch zynisch verfremdete Volksmusikzitate.
Das musikalisch dichte Gewebe, das Olga Neuwirth in und um Andis Lamento und das giftige Wirken der Witwe spinnt, gewinnt ihre Kraft aus der Sprache, deren Musikalität sie im besten Sinn instrumentalisiert.

 

Antonella Cerullo
30. März 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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