Elfriede Jelinek - Porträt
Die Frau ist die Todesstrafe des Mannes. Ein Portrait der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek von Gerhard Moser und Robert Weichinger
Erste Hörfunkaufnahme, 1968
Interview anläßlich der Nobelpreisverleihung 2004
Elfriede Jelinek liest aus dem Roman "Kinder der Toten"
2 CDs
Edition Radio Literatur
ORF-CD 714
ISBN 978-3-901846-74-8
Wien: ORF, 2006
elfriede jelinek kocht kaffee. das interview. von elisabeth scharang
1 CD
radio FM4
ORF CD 716
ISBN 978-3-901846-75-5
Wien: ORF, 2006
Rechtzeitig zum 60. Geburtstag von Elfriede Jelinek am 20. Oktober 2006 legen die beiden Radiostationen Ö1 und FM4 zwei CD-Editionen zur Person Elfriede Jelineks vor. "Die Frau ist die Todesstrafe des Mannes" ist der Titel eines runden Radioportraits von Gerhard Moser und Robert Weichinger für die Sendereihe "Tonspuren", die am 13. Oktober in Ö1 wiederausgestrahlt wurde und nun auch auf CD nachgehört werden kann. Dem obligaten Einstieg mit dem Nobelpreis 2004 rankt sich das Porträt mit langen Interviewpassagen dem Werk und den Lebensthemen der Autorin entlang. Jelineks Selbstaussagen sind wie immer beeindruckend eloquent, in vielem berührend und auch voll feinem Witz. Versucht man einmal nur auf die Sprachmelodie zu hören, wird deutlich, wie sehr die Authentizität dieser Rede mit Jelineks charakterstischer Sprachmelodie zu tun hat: Die etwas gezogene Sprechweise hat wohl auch mit den steirischen Wurzeln und der gutbürgerlichen Sprechweise des Wienerischen zu tun - erweckt im Hören den Eindruck, als möchte sich die Sprecherin an den leicht gedehnten Vokalen und vor allem Zwielauten im Reden festhalten, sich gleichsam an den locker gespannten Silbenketten einem Abgrund entlang sicher weiterhanteln. Sympathisch sind auch die kleinen Irrtümer, die unkommentiert "stehen geblieben" sind, etwa wenn Jelinek Thomas Bernhard ins Mühlviertel versetzt. Auch auf provokante Fragen, Intimes oder doch sehr Privates betreffend, reagiert sie stets routiniert und quittiert mit einem ihrer sympathischen Lacher. So sind es auch nicht die etwas bemüht provokanten Fragen wie "Was haben sie gegen die Steiermark, Frau Jelinek?" oder "Genußfähig sind sie eigentlich nicht?", die dem Porträt Lebendigkeit verleihen, sondern die geduldigen und offenen Antworten Elfriede Jelineks. (Sie wäre auch die Person, von der man sich einen kulturkritischen Essay über den zeitgeistigen Umgang mit "griffigen Sagern" wünschen würde, die zu provozieren Interviewer gerne als ihre zentrale Aufgabe sehen.) Die Themenfelder des Porträts sind hinlänglich bekannt und auch oft in öffentlicher Rede und Gegenrede abgehandelt - das Verhältnis zur Mutter, zu Österreich, zur Kommunistischen Partei etc. - die Antworten bleiben immer lebendig, auch wenn man sie in anderen Zusammenhängen schon gehört haben mag. Dafür sorgen die beiden Radioprofis Gerhard Moser - von dem auch noch extra das Interview anlässlich der Nobelpreisverleihung aus der Sendereihe "Im Journal zu Gast" zu hören ist - und Robert Weichinger, deren sorgfältige und geschickte Komposition des Porträts einen akustisch wie inhaltlich spannenden Bogen ergibt.
Aus mehreren Gründen interessant ist ein Mitschnitt der ersten Hörfunkaufnahme mit Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1968 mit Ausschnitten aus "Hörprosa um Bukolit 2" und "Die Nacht Lisa", der ebenfalls auf der ersten CD zu finden ist. Man hört hier zu Beginn Elfriede Jelinek an der Orgel, man hört die unglaublich veraltet wirkende Hörfunkmoderation - von der "hochgestochenen Wiener Zeitschrift Protokolle" ist da die Rede und das in einem Duktus, der viel weiter zurückzuliegen scheint als knapp vier Jahrzehnte - und man hört die erstaunliche Kontinuität in Werk und Spechweise Elfriede Jelineks: es scheint schon in diesen frühen Texten und in diesem frühen Auftritt die ganze Autorin da zu sein, die man dann auf der zweiten CD mit neun Ausschnitten aus ihrem opus magnum "Die Kinder der Toten", aufgenommen am 9. März 2006, hören kann.
"elfriede jelinek kocht kaffee", diesen Titel gibt die junge und schon viel geehrte Elisabeth Scharang - u. a. 1992 mit dem Österreichischen Staatspreis für Journalismus im Interesse der Jugend, 2001 mit dem Österreichischen Radiopreis der Erwachsenenbildung für experimentelles und interaktives Radio - ihrem Interview mit Elfriede Jelinek für den Jugendsender FM4 im Dezember 2004 - die Nobelpreisrede "Im Abseits" ist schon aufgezeichnet. Elfriede Jelinek kocht am Anfang tatsächlich Kaffee, aber vor allem kocht sie das gesamte Interview. Elisabeth Scharang wirkt erstaunlich unbedarft in ihren Fragen und wird ihrer Rolle als Interviewerin kaum gerecht. "Ich denke, es sollte ein lockeres Gespräch sein", so übernimmt Jelinek gleich zu Beginn die Regie und erzählt nett und geduldig wie immer. Die Uninformiertheit ihres Gegenübers - "Sie sind hier [in der Jupitergasse] aufgewachsen?", fragt Elisabeth Scharang gleich zu Beginn - übergeht Jelinek mit Nonchalance, versucht zu lenken und zu helfen und erzählt sympathisch und eben locker drauflos. Es wirkt so lebendig, dass man immer wieder vergisst, dass viele der Geschichten und Berichte in Jelineks jahrzehntelangem Reden über sich selbst gleichsam schon als Readymades vorliegen. Die Fragen können noch so simpel und hilflos sein, Elfriede Jelineks Erzählmotor läuft und läuft und ihre Rede ist vom ersten bis zum letzten Wort spannend. Nicht nur weil man tatsächlich auch Neues oder weniger Bekanntes erfährt. Auf die Frage "Warum sind sie in eine Klosterschule gegangen?", erfahren wir etwa Einiges von den Kindern der Austrofaschisten, vom Wechsel der roten und weißen Mascherln an Jelineks Zöpfen bei Maiaufmarsch und Fronleichnamsprozession, oder von ihrer opernbegeisterten Schulfreundin. Wir erfahren auch von einer Gemeinsamkeit im Leben Jelineks und Helmut Peschinas: beide ließ der inzwischen emeritierte Professor Greisenegger bei der Aufnahmeprüfung an der Theaterwissenschaft durchrasseln, und wir erfahren von ihren Cousinen väterlicherseits, die sie spät kennen lernte, die alle der KPÖ angehörten und im Gefolge von Prag 1968 austraten, als Jelinek sich gerade anschickte, der Partei beizutreten. Jelinek erweist im Gespräch wie immer ihren Fördereren der ersten Stunde - Otto Breicha und Alfred Kolleritsch - ebenso ihre Reverenz, wie Oswald Wiener und der Wiener Gruppe oder Peter Handke, "einer der intelletentesten Schriftsteller überhaupt". Leider fragt Elisabeth Scharang bei den Dingen, wo man gerne mehr gewußt hätte, nie nach. Etwa wenn Jelinek erwähnt, dass Heide Pils ihren Job verlor, weil sie in einem katholischen Verlag einige Gedichte Jelineks veröffentlicht hatte; großzügig hängt Jelinek sogar den Hinweis an, dass diese Episode weniger bekannt sei, aber Elisabeth Scharang nimmt das Hölzchen nicht auf und so kann Jelinek nicht weiter erzählen.
Vielleicht ist diese Einschätzung des Interviews auch ungerecht, weil es zu sehr von den Interessen und Erwartungshaltungen eines Fachpublikums ausgeht. Es ist zweifellos ein lohnendes Unterfangen, einem jugendlichen Publikum die österreichische Nobelpreisträgerin näher zu bringen. Doch auch wenn das Ziel dieses Interviews mehr die private Person war und vielleicht auch ein genauerer Blick auf Schul- und Pubertätsprobleme, es ist einfach fast kein Interview geworden; Elfriede Jelineks beschenkt die "Interviewerin" und die Hörer gewissermaßen in Eigenregie mit einem wunderbaren Monolog über ihre Person. Etwas erstaunt entnimmt man dem schmalen Booklet, dass die Jury für den Radiopreis der Erwachsenenbildung das offenbar völlig anders sah und Elisabeth Scharang für dieses Gespräch auszeichnete. Dass sich zumindest die CD-Edition nicht primär an junge Hörer wendet, darauf deutet das Cover hin: es zeigt den Typenkopf einer Schreibmaschine, der, abgesehen von den Schreibanfängen, weder mit Elfriede Jelineks Arbeitsweise - sie ist bekanntlich eine PC-Userin der ersten Stunde - noch mit der Lebensrealität der Computergeneration etwas zu tun hat.
Evelyne Polt-Heinzl
18. Oktober 2006
Originalbeitrag
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