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Elfriede Jelinek: er nicht als er



Sprecher: Bruno Ganz
Regie: Ulrich Gerhardt
Spielzeit: 40 Min. 52 Sec.
ISBN 3-902123-18-4
Preiser Records 2001

"Wenn ein Tiger keine Gelegenheit zu haben glaubt, Tiger zu sein, will er aus Wehmut oder Verdruss sogleich ein Schaf werden. Damit meine ich: Jeder sollte sich so klein machen, wie er nur kann." Dieser Satz aus "Das Leben", dem dritten Teil von Elfriede Jelineks Hörspiel "er nicht als er", mag als Programmatik für das ganze Werk dienen, wie es den alten Robert Walser umkreist, die Spaziergänge in der Umgebung des Irrenhauses, in dem er seine letzten dreißig Jahre verbrachte, die ihrerseits die Stille umkreisen, die Stille als das große, verführerische "Andere", das stets dem Literaten droht, die Stille, die aus dem "Tiger" das "Schaf" macht, oder besser, die Stille, die der Tiger durch seine Schafwerdung evoziert.

Die zwölf imaginären Selbstgespräche Walsers, von Jelinek einfühlsam im Persona-Verfahren zu einem Hörspielmonolog montiert, der sich wohl auch gut lesen ließe, mögen all jene eines Besseren belehren, denen beim Namen Jelinek nur eine Kategorie einfällt - nämlich "Feminismus" (was auch immer das heißt) - und kein Text. Denn was Bruno Ganz da vorträgt, meisterhaft in seiner Interpretation des Textes, hat NICHTS mit geschlechtlicher Entfremdung, Gender-Begrifflichkeiten oder dergleichen zu tun (es handelt sich ja bei weitem nicht um die einzige Arbeit der Autorin, auf die das zutrifft, allein: Die formale wie inhaltliche Radikalität "der Jelinek", wenn es ihr dann doch um besagten Themenkreis zu tun ist, hat es geschafft, ihr ein ganz bestimmtes - und in den zeitgenössischen Köpfen eben unerschütterliches - Image zu sichern). Es geht um das Abgleiten eines grauenhaft genauen Beobachters in die Unantastbarkeit der Stille - oder in die Stille der Isolation, je nach Betrachterstandpunkt. Das Vogelgezwitscher, das die Einzelteile des Ganzen voneinander trennt, verfremdet sich zusehends, bis es am Schluß klingt wie die Spannungsmusik eines experimentellen Suspense-Films, und vor allem dadurch wird den so eingerahmten Texten die Bedeutung von Landmarken auf der schiefen Ebene des Verschwindens zugewiesen. Von alleine hätten sie kaum die Wucht dazu, sie würden, wie ausweglos und bindend die geschilderten Komplexe in Sprache sich auch darstellen, viel nüchterner erscheinen: Als Schilderungen von einem ganz normalen, überdurchschnittlich intelligenten Menschen, der sich selbst beim Davondriften zusieht, ohne seiner Drift viel Emotion oder Bedeutung beizumessen.

Genau das, die relative Kälte der Kunstfigur Walser in Jelineks Text, macht die eigentliche Faszination aus. Dem Hörer ist nicht ohne weiteres zuzutrauen, daß er entscheiden kann, wo genau die Verrücktheit sitzt, welche Äußerung "noch" Beschreibung der Vorgänge rund um das Ich ist und welche schon "Ausgeburt" der verqueren Innenschau: Kein Wahnsinniger mit irrem Lächeln wird vorgeführt, sondern ein älterer Herr mit "stiff upper lip" und Stil, der spazierengeht. Solches denken, das könnte man auch selber, dämmert es einem, und an dieser Stelle erst beginnt man, zu schaudern angesichts eines Gebildes, das bis dahin einfach nur rettungslos poetisch war (und somit - zumindest latent - auch die gute alte "Grenze zwischen Genie und Wahnsinn" zum Thema hatte). Denn immer manischer werden die Untertöne, immer stärker fixiert sich der Subtext der Schilderungen - und nur der Subtext - auf die Sinnlosigkeit menschlichen Interagierens, immer müder wird der Kunst-Walser, der da redet, immer erschöpfter von nichts als seinem puren Menschsein, das fragwürdig wird angesichts der Größe seiner Gegenstände und Orte (siehe weiter unten). "er nicht als er" ist eine Anklage an das System der Irrenhäuser und an einer Gesellschaft, die Walser zum Schweigen gebracht hat. Als solche ist das Hörspiel äußerst wirkungsvoll, wohl gerade weil diese Anklage nicht durch radikale Brüche im Duktus oder durch von "Walser" vorgebrachte moralische Bewertungen sich äußert, sondern nur in der Art und Weise besteht, in der "er nicht als er" abgleitet, wie - und das macht das Schaudern letztlich aus - ein jeder abgleiten müsste, wie "geistig gesund" auch immer, der über 30 Jahre hin zu solchen Spaziergängen sich getrieben sieht.

Einen wichtigen Verdienst um die Intensität des Hörerlebens haben der Regisseur Ulrich Gerhardt und die Tontechniker Günter Heß und Angelika Haller geleistet: Der innere Monolog wird durch sie zum präzise ausgeführten inneren Dialog, insoferne sie die Stimme von Bruno Ganz auf mannigfaltige Weise subtil und unaufdringlich verändern, von einem zum anderen Lautsprecher wandern lassen und dergleichen, sodaß Stellen entstehen, in denen - zum Beispiel - ein "Dichterwalser" und ein "Spießerwalser" miteinander Details einer Wahrnehmung diskutieren und der Hörer stets die "Diskutanten" klar getrennt voneinander "vor Ohren" hat. Daß bei solchen technisch-stilistischen Manövern der Fluß des Ganzen nicht gestört wird gibt ein gutes Beispiel dafür, daß das Hörbuch im deutschen Sprachraum sich zu emanzipieren beginnt und eigene Gesetzmäßigeiten entwickelt, einen eigenen, von Livelesung, Theater oder Film unabhängigen Fundus technischer Möglichkeiten.

Die Fixierung auf Orte, der Aberglaube des einsamen Kindes an die Belebtheit der Dinge, der Jelineks Walser zu eigen ist, ist es aber, was jenseits der wie virtuos auch immer erzählten "Geschichte" eigentlich "hängenbleibt" von "er nicht als er". Ich wurde nie ganz den Eindruck los, daß dieser Mann auf seinen manisch-magischen Spaziergängen eigentlich niemand ist, um den ich mir allzu viele Sorgen (im Sinne der Identifikation mit dem Protagonisten) zu machen brauche. Vielmehr wollte mir scheinen, als sei dieser vorgezeichnete Weg ins Verschwinden mitsamt den tausend beobachterischen Details, die er streift, erstrebenswert, als hätte dieser Walser mit der Entscheidung zu seinem ersten Spaziergang (weit außerhalb des im Text geschilderten Feldes) eine heroische Entscheidung getroffen, als "handle" er logisch und souverän, wenn er sich langsam - und, wie gesagt, unaufgeregt - in die Details zurückziehe, ins allzu Augenfällige.

Unaufdringlich und, hat man sich darauf eingelassen, faszinierend ist dieses Hörbuch, und ebenso unaufdringlich ist das Booklet, das - neben den Viten von Bruno Ganz und Elfriede Jelinek - auch ein prägnantes Exposé von der Feder der Autorin enthält. Sie hat eine Arbeit vorgelegt, die keine direkten "Fragen" aufwirft und nicht an "offenen Wunden der Gesellschaft" rührt, und die dennoch über sich hinausweist, in den Bereich im Rezipienten(unter)bewußtsein nämlich, der nie verstehen wird, daß "künstlerisch" konstatierte Tatsachen für die "reale" Interaktion ohne Relevanz sind. Wären sie das nämlich nicht - so spricht die Grundhaltung des Erzählers, nicht er selbst - dann müßten wir wohl fünfzig Prozent unserer Kulturschaffenden abschreiben: Sie gingen - ohne Rückhalt, wie ihn die Fähigkeit und Notwendigkeit zum künstlerischen Broterwerb bietet - den selben Weg "zurück in die Details", den Jelineks Walser geht.

Originalbeitrag

Stefan Schmitzer
8. Mai 2002

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