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Kurt Leutgeb: Marathon

Leseprobe: 

 

Kurz haben sie gescherzt, sie könnten in Wien auch solche touristischen Laufstadtführungen anbieten, Fremdsprachen- und Laufkenntnisse hätten sie. Aber so eine Arbeitstätigkeit in der Öffentlichkeit, die ihn womöglich noch dazu zum Trinkgeldempfänger machen würde, wäre ihm unangenehm. Als Lehrer, redet er sich ein, arbeite er an der Bildung des Volkes, während ein touristischer Dienstleister nur unterhalte. Den Tod würde er, denkt er im Volksgarten, nicht der Ausübung einer solchen öffentlichen touristischen Erwerbstätigkeit vorziehen, aber die Erniedrigung wäre eine noch größere als die durch das Volksbildnersein und er will sie nicht suchen.
Über den Heldenplatz läuft er in den Burggarten und dreht dort zwei Runden, die zweite schnell. Er hört beim Laufen nie Musik, schon weil er sich unsicher fühlen würde, wenn er seine Umgebung nicht hörte. In seinem Inneren erklingen aber heute immer wieder Passagen von Il est cinq heures, Paris s’éveille von Jacques Dutronc, auch wenn es schon halb sieben vorbei in Wien ist. Lastwagen voll Milch sieht er keine, auch keine müden Liebenden und auch keine wieder angezogenen Stripteasetänzerinnen. Allerdings ist der Frauenanteil unter den Morgenläuferinnen sehr hoch. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Frauen sich in der Stadt sicherer fühlen als etwa auf der Donauinsel und dass viele von ihnen nicht so weit laufen. (...) Beim Stubentor kommt ihm ein Mann in sehr gut sitzendem Anzug entgegen. Er trägt eine ernste Brille, teure Schuhe und eine dünne Aktentasche. Auf dem Weg ins Büro raucht er eine. Dieser Mann sieht ihn intelligent und menschlich an, was ihm bemerkenswert erscheint. Vielleicht bildet er sich das alles auch nur ein, aber die großen, durchtrainierten Läufer, die ihm manchmal auf der Donauinsel entgegenkommen, scheinen ihm frei von einer solchen Intelligenz und Menschlichkeit. Er stellt sich vor, dass der Mann ein humanistisches Gymnasium besucht habe. Vielleicht sei er auch ein ganz gewöhnlicher Katholik.
Auch einigen etwas schmuddeligen, verloren wirkenden Männer mittleren Alters mit Rucksack begegnet er. Ob sie zur Arbeit gehen oder nur so tun? Vielleicht sind es auch Touristen, die gern früh aufstehen. In der Tür des Gebäudes des Bundesministeriums für Landesverteidigung steht ein Bilderbuchösterreicher mit mächtigem Schnauzbart in Tracht, ganz Katholik und Nationalsozialist. Durch die Tür kommen zwei feiste Nordic Walker, bestimmt Beamte, die sich die körperliche Betätigung als Arbeitszeit anrechnen lassen. Er überholt sie im Sprint und läuft bei Rot über die Dominikanerbastei.
Beim Ströck am Schwedenplatz kauft er sich zwei Semmerln und ein Briochekipferl, zu welchem Behuf er ein Zwei-Euro-Stück eingesteckt hat. Durch ein zuckerreiches Frühstück hofft er, die Müdigkeit zu vermeiden, die ihn nach Morgenläufen sonst beschleicht. Während der vormittäglichen Erwerbsarbeit ist er aufgedreht und super drauf, während des Mittagessens mit Bernd beim Chinesen am Bacherplatz ist er hellwach und vergnügt, doch am Nachmittag verfällt er, während der abendlichen Erwerbsarbeit ist er irritabel und grantig, und als er um zweiundzwanzig Uhr nach Hause kommt, hat er schlechte Laune.
Am Donnerstag scheint die Sonne und es ist sommerlich warm. Zum ersten Mal seit dem Halbmarathon läuft er in seinen Baggy Shorts, zum ersten Mal überhaupt in seinem blauen Laufleiberl. Seine Laufsocken trägt er ebenfalls zum ersten, seine Wettkampfschuhe zum zweiten Mal. Er will in 5:20 zum Nullkilometertaferl auf die Prater Hauptallee laufen, dort zehn Kilometer in 4:40 und nach einem kurzen Trabstück wieder in 5:20 nach Hause.
Genau so macht er es auch.

(S. 178-182)

© 2014 Sisyphus, Klagenfurt

 

 

 

 

 

 

 

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