Musik: Gerhard Lampersberg
Libretto: Thomas Bernhard
Live-Mitschnitt der Aufführung der Gmundner Festwochen vom 23. August 2002. Mit Nina Maria Plangg, Daniela Supper, Violetta Kowal, Bernhard Plaschitz, Johann Leutgeb, Martin Winkler
Musikalische Leitung: Kirill Karabits
Spieldauer: 48:08 Min.
Salzburg: Atlantis resurrexit, Verlag der Salzburger Konzertgesellschaft 2003
Ein Stückchen österreichischer Kulturgeschichte der Nachkriegszeit: Der Tonhof im Kärntner Maria Saal war Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre das Zentrum einer kreativen Gruppe, die dessen Eigner, das mäzenatische Ehepaar Gerhard und Maja Lampersberg, er Komponist, sie Sängerin, um sich gesammelt hatte. Man lebte gemeinsam, diskutierte, schrieb, komponierte und veranstaltete Aufführungen, die allmählich auch überregional besprochen wurden. Auch Thomas Bernhard war mit den Lampersbergs befreundet, lebte zeitweilig am Tonhof, verfasste Einiges, das möglicherweise verschollen ist, aber auch das 1959 von S. Fischer veröffentlichte Libretto für Gerhard Lampersberg, "die rosen der einöde" und die bisher unpublizierten "Köpfe", die in einer Typoskriptversion im Thomas-Bernhard-Archiv liegen.
Bernhard selbst hat seine Zeit am Tonhof in "Holzfällen" massiv abgewertet und zwar sowohl was seine eigene Rolle dort wie auch was die künstlerische Arbeit und den Charakter seiner Wohn- und Arbeitsgenossen betraf. Während und nach dem Skandal rund um "Holzfällen", ist nahezu jeder, der sich je in die Nähe des Tonhofes gewagt hat, zu Wort gekommen und das Publikum ist mit schier unzähligen Geschichten von angeblicher Ausnützung, Eitelkeiten und Verrat konfrontiert worden. Trotz der zeitweiligen Beschlagnahme des Buches hatte sich Thomas Bernhard ausnahmsweise in der öffentlichen Meinung durchgesetzt und das Bild von Gerhard Lampersberg als mittelmäßigem Tonsetzer in der Alban-Berg-Nachfolge, der zudem versuchte, ein großes Buch, nämlich "Holzfällen" mit Hilfe der Gerichte zu verhindern, wurde in den Nachrichtenmagazinen akzeptiert. Im Einklang mit Bernhard wurde uns die kreative Gruppe, in der sich Bernhard zumindest zeitweilig recht wohl gefühlt hat, als Vereinigung selbstzufriedener "Staatskünstler" denunziert, die auf das "Höchste" verzichtet hätten.
Was in der Diskussion völlig ausgespart wurde, war der Wert - oder Unwert - der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Bernhard und Lampersberg. Tatsächlich ist das publizierte Libretto der "Rosen" mit seinen extremen Verknappungen und den Wiederholungen von Textfragmenten bei der Lektüre ein äußerst sperriger Text und lädt dazu ein, die "Tonhof"-Zeit tatsächlich als jugendliche Verirrung abzutun oder sie bestenfalls als Steinbruch von Motiven des späteren Bernhard heranzuziehen - etwa dem angsterregenden "Fräulein". Aber von Ausnahmefällen abgesehen ist es ohnedies unpassend, ein Libretto außerhalb des Kontexts mit der Musik zu beurteilen.
Die Aufführung der "die rosen der einöde" und der "Köpfe" bei den Gmundner Festwochen 2002 hat wohl auch einem breiteren Publikum gezeigt, was unter Spezialisten nie bestritten war: das öffentliche Bild des Gerhard Lampersberg ist ungerecht. Die furchtbare Beschreibung vom trunkenen und würdelos alternden Tonsetzer Lampersberg, die uns Bernhard in "Holzfällen" gab, darf auf keinen Fall auf das Jugendwerk rückprojiziert werden. Der Avantgardist Lampersberg verfügte über eine beeindruckende Präzision. Mit einer für die damalige Zeit überraschenden Radikalität abstrahierte er von der herkömmlichen musikalischen Formensprache und reduzierte komplexe Konstellation auf ein Minimum. Das heißt, man kann mit dieser CD als HörerIn ein Entdeckungserlebnis haben: ein bisher verschollenes Dokument einer offensichtlich selbstbewussten Avantgarde aus der Zeit der öden fünfziger Jahre - "rosen der einöde " eben.
Die zweite Überraschung liegt darin, wie gut das Wort und die Musik aufeinander abgestimmt sind. Der junge Thomas Bernhard beherrschte ganz offensichtlich das Handwerk des Librettisten. Man spricht viel von der einzigartigen Kooperation zwischen Claus Peymann und Bernhard. Aber der angebliche künstlerische Einzelgänger Bernhard war offensichtlich um einiges teamfähiger, als er sich gerne selbst darstellte und die Kooperation mit Lampersberg, die - nachvollziehbar nach "Holzfällen" - gerne übersehen wird, beinhaltete anfänglich ein ähnliches künstlerisches Potential wie die mit Peymann. Die Aufführung macht allerdings auch klar, warum Bernhard den Weg als Librettist im allgemeinen und den mit Lampersberg im besonderen nicht mehr weiter gehen konnte. Die Verknappungen, zu denen sich Bernhard hier gezwungen sah, legen Zeugnis von einer anderen Art von Disziplin ab, als die derer er sich später befleißigte - nicht die Disziplin, in der sprachlichen Opulenz niemals den Faden zu verlieren, sondern die eines kantigen Minimalismus. Vor allem ist die Stellung des Librettisten jenem Anspruch, den er offensichtlich schon damals hatte, nicht angemessen - hier dominiert die Musik und das Libretto fungiert nur als Anlassfall. In der Zusammenarbeit mit Claus Peymann waren die Hierarchien, die Bernhard äußerst wichtig waren, wohl umgekehrt.
Alfred Pfabigan
8. März 2004