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Selma Meerbaum-Eisinger: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt

Gedichte Mit Iris Berben
Hrsg.: Jürgen Serke
Spieldauer: 34 Min.
ISBN 987-3-455-30429-9
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2005

World Quintet: Selma. In Sehnsucht eingehüllt
Musiker: Michael Heitzler, Ariel Zuckermann, Daniel Fricker, Oliver Truan, David Klein, Sinfonieorchester Basel. InterpretInnen: Sarah Connor, Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Thomas D, Joy Denalane, Reinhard Mey, Inga Humpe, Hartmut Engler, Stefanie Kloß, Volkan Baydar, Jasmin Tabatabai, Ute Lemper
Basel: Voice of Joy Entertainment, 2005

Die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger sind ein erschütterndes Dokument der deutsch-jüdischen Geschichte, und sie zählen zu jenen literarischen Werken, die man immer vor dem Hintergrund der Autorinnen-Biografie lesen wird. Bei jedem Aufjauchzen dieses erblühenden und sinnlos abgerissenen jungen Lebens hat man das Ende vor Augen. Erst recht natürlich in den düsteren Passagen voller Todesahnung, die sich nicht mit der pubertären Lust am seelischen Schmerz erklären lassen, weil man weiß, was zu dieser Zeit im "Deutschen Reich" geschah und weil man fürchtet, dass ein hochbegabtes jüdisches Mädchen dies wissen musste.

Selma Meerbaum-Eisinger stammte aus Czernowitz. 1942 starb sie, mit 18 Jahren, in einem Arbeitslager der Nazis an Typhus, entkräftet von körperlichen und psychischen Qualen. Als Fünfzehnjährige hatte sie zu schreiben begonnen. Kurz vor der Deportation konnte sie ihren handgeschriebenen Gedichtband mit dem Titel "Blütenlese" einer Freundin zuspielen, und so wurden die 57 Gedichte - ihrem Freund gewidmet, der das deutsche Regime ebenso wenig überlebte wie sie - nach Israel gerettet. Das letzte Gedicht ("Tragik") hat vier Zeilen: "Das ist das Schwerste: sich verschenken / und wissen, daß man überflüssig ist, / sich ganz zu geben und zu denken, / daß man wie Rauch ins Nichts verfließt". Mit rotem Stift fügte Selma Meerbaum noch einen Abschiedsgruß hinzu: "Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben. Schade, dass du dich nicht von mir empfehlen wolltest. Alles Gute Selma."

Zugleich mit der neu überarbeiteten Buchausgabe (Hrsg. Jürgen Serke) erschien bei Hoffmann und Campe eine CD mit einer Auswahl von 29 Gedichten, gelesen von Iris Berben. Das Booklet informiert in Kurzfassung über das Schicksal der Dichterin und die Rettung ihres Notizbuchs. Jürgen Serke, der sich um die Wiederentdeckung- und Verbreitung "verbrannter" Werke verdient gemacht hat, lobt sich in seinem Beitrag ausdrücklich selbst. Die CD und das Buch gleichen sich in ihrer optischen Aufmachung, mit einem Foto des leicht beschädigten Originalbüchleins von Selma Meerbaum-Eisinger am Cover. Die Grenze zwischen gewinnbringender Vermarktung und notwendigen biografischen Hinweisen, die dem Verständnis dienen, ist hier ein wenig undeutlich.

Zur Lesung von Iris Berben ist nicht viel zu sagen, sie vermittelt etwas Beiläufiges. Gut ist daran, dass sie sich selbst zurücknimmt und nicht, wie Schauspieler es sehr oft tun, den Text mit ihrer Darstellung erdrückt. Sie liest aber auch sehr hastig - so als hätte sie, um dem jugendlichen Überschwang, der Ungeduld, der Lebensgier Ausdruck zu verleihen, kein anderes Ausdrucksmittel gefunden als Geschwindigkeit. Effekt heischend und überflüssig ist es, jene letzte Notiz, "Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben", die ja nicht Teil des Gedichts ist, als einzigen dramaturgischen Eingriff noch anzuhängen; aber das war vermutlich eine Entscheidung des Herausgebers.

Auf einer weiteren CD (produziert von Voice of Joy Entertainment) kann man 12 der Gedichte als Popsongs anhören: vertont und gespielt von den Musikern des World Quintets, gesungen von Interpreten unterschiedlicher Musikrichtungen. Darunter sind Sarah Connor, Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Thomas D, Inga Humpe, Hartmut Engler, Reinhard Mey und Ute Lemper.

Das wunderbare an der Vertonung von Lyrik ist, dass der Sprache und den Bildern dadurch Zeit gegeben wird, zu wirken, sich zu entfalten. Es ist vor allem dieser Zeitfaktor - die musikgefüllte Verzögerung bis zur nächsten Zeile - von dem auch die Gedichte Selma Meerbaums profitieren.

Natürlich kann Literatur, wenn sie verfilmt oder vertont wird, nicht mehr das einzige Kriterium der Betrachtung sein - es geht also nicht nur um die möglichst perfekte Übertragung oder Präsentation des Textes, sondern um die Entstehung von etwas Neuem. Genau diesen Anspruch erfüllt die Musik-CD "Selma" nicht ganz. Die Sängerinnen und Sänger bleiben nämlich, bei aller Sympathie für die Dichterin, ihren Marken treu und die Musiker des World Quintets scheinen sich dem anzupassen oder es auch in der Komposition vorwegzunehmen - alles in allem jedenfalls als Teil des Konzepts einzukalkulieren. Nicht immer stellt sich dabei ein Bezug zwischen Musik und Gedicht ein. So klingen die Nummern von Reinhard Mey und Thomas D eben einfach wie Nummern von Reinhard Mey und Thomas D. Das "Lied" von Hartmut Engler ist der Höhepunkt der orchestralen Kitschvariante, die ebenfalls geboten wird.

Aber auch ein paar gelungene Beispiele gibt es, in denen sich die Auswahl der SängerInnen als richtig erweist. Bei Sarah Connor, Xavier Naidoo oder besonders Inga Humpe, treffen Gesangsstil, Stimme, Text und Komposition ideal aufeinander und es wird auch etwas von der Poesie der Gedichte vermittelt.

 

Christine Rigler
27. März 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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