Hörstück
Mit Anuk Ens, Erik Schäffler, Karl-Friedrich Gerster
2 CDs mit Booklet (12 Seiten)
Spielzeit 170 Min
ISBN 978-3-455-30097-0
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2006
Bald 18 Jahre ist Thomas Bernhard tot - in der Germanistik ist er aber lebendiger als zuvor (Man werfe nur einmal einen Blick auf die Homepage www.thomasbernhard.at). An Sekundärliteratur mangelt es nicht, Hans Höller hat in der Reihe rororo monographien eine Biografie des Autors publiziert, Joachim Hoell hat es ihm in der Reihe dtv portrait gleichgetan, auch Gitta Honeggers Biografie wäre zu nennen. Dazu warten Interviewbände, Erinnerungsbücher und Bildbände, etwa über seine Häuser, die Schauplätze seiner Jugend und die seiner Romane in den Buchhandlungen auf willige Käufer. Ist Thomas Bernhard in Mode, weil er vermarktet wird oder wird er vermarktet, weil er in Mode ist? Und worin liegt der Nutzen einer weiteren Biografie?
Der Germanist Manfred Mittermayer - ein ausgewiesener Bernhard-Spezialist - hat im Rahmen eines Projekts im Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie über Thomas Bernhard geforscht und im Frühjahr 2006 bei Suhrkamp eine Biografie des Autors veröffentlicht, die nun in einer gekürzten Fassung als Hörbuch bei Hoffmann und Campe erschienen ist. Um es vorwegzunehmen: Mittermayers Arbeit ist unbedingt zu empfehlen, sie bietet für den Unkundigen eine übersichtliche, flüssig und verständlich formulierte Einführung in die Welt Thomas Bernhards, lohnt sich aber auch für Bernhard-Kenner, weil Mittermayer neueste Forschungsarbeiten eingearbeitet hat und zum Teil zu neuen Bewertungen des Autors und seines Werkes kommt. Das Hörbuch ist weitgehend uninszeniert, die drei Sprecher Anuk Ens, Erik Schäffler, Karl-Friedrich Gerster lesen die gekürzte schriftliche Fassung von Mittermayers Buch. Natürlich wäre es schön gewesen, Thomas Bernhard im Original hören zu können, doch ist es schon gut so, nur über ihn zu sprechen. Das Hörbuch gliedert sich in drei Teile, es beginnt mit der ausführlichen Biografie, dann schließt Mittermayer kurze, recht dienliche Einführungen zu Bernhards Werken an und rundet das Hörbuch mit Ausführungen zum Verhältnis Bernhards zu Österreich und zur Wirkung seines Werkes zu einem homogenen Ganzen ab.
Thomas Bernhard hat eine schwierige Kindheit, fühlt sich von der Mutter ungeliebt, ist in der Schule ein Außenseiter, sucht Halt und Anerkennung beim die Familie tyrannisierenden Großvater Johannes Freumbichler, einem erfolglosen Schriftsteller, dessen Werk im Zuge der Bernhard-Forschung jetzt nach und nach aufgearbeitet wird. Schon während des Krieges notierte Freumbichler, der von Mittermayer als ambivalente Person dargestellt wird, in seinem Tagebuch einen Selbstmordversuch des Enkels. Nach dem Schulabbruch versucht Bernhard, "in die entgegengesetzte Richtung" zu laufen, beginnt eine Lehre beim Lebensmittelhändler Podlaha und ist glücklich. Dann aber erkrankt er schwer, erhält die Sterbesakramente, verbringt große Teile seiner Adoleszenz in überbelegten Krankenhäusern und abgelegenen Sanatorien. Währenddessen sterben Mutter und Großvater. Nach seiner Entlassung folgen erste Schreibversuche, Bernhard nimmt Gesangs- und Schauspielunterricht und arbeitet als freier Journalist beim Salzburger Demokratischen Volksblatt. Frappierend ist, dass der Beginn seiner Autorenkarriere trotz der zahlreichen Forschungen im Halbdunkeln liegt - auch, weil Bernhard seine Biografie "inszeniert" und verfälscht hat.
Ende der 1950er Jahre veröffentlicht Bernhard drei wenig erfolgreiche Gedichtbände. Sein Debüt als Schriftsteller ist zäh, aber er hat die Gabe oder das Glück, die richtigen Leute zur richtigen Zeit kennenzulernen, versteht es geschickt, sich im literarischen Feld zu positionieren. Josef Kaut, sein Chefredakteur beim Demokratischen Volksblatt, wird später als Präsident der Salzburger Festspiele Stücke von ihm aufführen lassen, Gerhard Lampersberg verschafft ihm Eintritt in die Künstlerszene, sein "Lebensmensch" Hedwig Stavianicek öffnet ihm die Türen der Salons des Wiener Bildungsbürgertums. Wieland Schmied vermittelt ihm Kontakte zur Furche, zu Otto Müller, zur Kulturzeitschrift morgen, veröffentlicht vor allem aber 1963 Bernhards ersten Roman "Frost" im Insel Verlag, wo er als Lektor arbeitet. Carl Zuckmayer, ein Freund von Großvater Freumbichler, wird das Buch in der Zeit positiv rezensieren.
Erst mit "Frost" hat Bernhard Erfolg, dann aber folgt ein fulminanter Aufstieg, er veröffentlicht "Amras" und erhält zwei Jahre später den Bremer Literaturpreis. Das Geld gibt er - erst 34-jährig - aus für den Kauf eines Bauernhofes in Obernathal, den er in den folgenden Jahren zu einem "Landsitz eines Adeligen" umgestaltet. In den 1970ern beginnt seine Dramatikerkarriere, ab 1975 veröffentlicht er seine autobiografischen Schriften im Residenz Verlag.
DKT - das kaufmännische Talent könnte man Bernhard bezeichnen, er verstand es, Geschäfte mit Verlegern und Intendanten zu machen, gemeinsam mit ihnen Erfolg zu haben. Es ist Strategie, einige von ihnen - Peymann, Minetti, Ritter, Dene, Voss - zu literarischen Figuren zu machen oder Stücke nach ihnen zu benennen und sie so geschickt für sich zu vereinnahmen. Seine Provokationen gegen den österreichischen Staat, die österreichische Gesellschaft und seine Politiker bleiben ambivalent: War vieles, vor allem die Kritik an der mangelnden NS-Aufarbeitung notwendig und wichtig, so waren die gegen Personen gerichteten Diffamierungen wohl negatives Vorbild für spätere populistische Kulturkämpfe der FPÖ.
Ende der 1980er Jahre - Bernhard ist schon schwer krank - veröffentlicht er zwei seiner wichtigsten und besten Werke. 1986 erscheint sein opus magnum "Auslöschung. Ein Zerfall", 1988 feiert er zusammen mit Claus Peymann mit der Aufführung von "Heldenplatz" seinen wohl größten Triumph. Seine letzte Veröffentlichung erscheint wenige Tage vor seinem Tod und ist ein Leserbrief zur Erhaltung der Gmundner Straßenbahn.
Ilse Aichinger schrieb: "In Frieden vorangegangen ist Thomas Bernhard keinem von uns. Aber der brennende Wunsch, ihn zurückzuholen, steigert sich, bei vielen zu ihrem Erstaunen, von Tag zu Tag."
Peter Landerl
15. November 2006
Originalbeitrag
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