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Robert Menasse: Don Juan de la Mancha oder die Erziehung zur Lust.

Hörbuchfassung und Regie: Gabriela von Sallwitz
Sprecher: Robert Menasse
4 CDs mit Booklet (6 Seiten)
ISBN 978-3-455-30553-1
Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2007

Also die erste CD dieses Hörbuches sollte man/frau nicht so einfach in den Player im Auto einlegen, wenn man gerade dabei ist, die Kinder zum Fußballtraining oder in die Schule zu fahren. Wir lesen das Cover mit der (wie auf dem Buch) roten Chili-Schote im zylindrischen Glas richtig und erwarten eine Erzählung über Leidenschaft und Lust, über Mann und Frau und über Sex und hören deshalb vielleicht über irgendwelche Ohrstöpsel: "Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie - um es mit ihren Worten zu sagen - in den Arsch ficke."

Die Hörbuchfassung erschien beinahe zeitgleich mit der Buchvorlage. Es wird behauptet, dass die Entdeckung des stillen Lesens für die Literatur einen freieren Zugang zu Themen wie Sexualität gebracht habe, musste man so Tabus doch nur privat durchbrechen. Uns Zeitgenossen des Rap erscheinen solche Überlegungen anachronistisch und so geht es halt im seriösen Hörbuch mitunter auch derb zu. Dass dies auch verkaufsfördernd sein kann, weiß Robert Menasse und erst recht sein Erzähler, ein etwa fünfzigjähriger Gesellschaftsjournalist namens Nathan. Damit er als solcher den Eindruck eines Don Juan hervorbringt, muss ihm schon auch etwas Frivoles einfallen. In seiner "Reportage", verfasst im Auftrag seiner Therapeutin Hannah, berichtete er von seinen Frauenbegegnungen, seinem Problem, Lust nicht erleben zu können. Was Lust dabei meint, wird nicht so ganz deutlich, es scheint etwas Ähnliches wie Glück, etwas, das man nicht besitzen kann. So sieht das übrigens schon Peter Altenberg und verknüpft seine Einsicht mit dem Don-Juan-Motiv: "Wehe denen, die Glück haben! Der Weg, der Weg, diese langsame Akkumulation von ungeheuren Lebens-Energien ist ihnen erspart, ist ihnen versagt! Sie sind betrogen um das einzig Wertvolle! Armselige Besitzende! Welten-Gerechtigkeit! Don Juan um sich selbst betrogen!" Nathans Problem sei, meint die eingangs zitierte Christa, dass ihm Befriedigung nicht genüge, sondern nur Erlösung. Dazu meint Abschnitt 29, der kürzeste des Buches, lapidar "Exkurs zur Erlösung: Keine Ahnung." Das ist es dann auch. (Wieso ist Nathan, sind wir damit bloß nicht zufrieden?)

Menasses "Don Juan de la Mancha" sucht zwar wie Lenaus Don Juan "heitre Liebesabenteuer", bleibt dabei aber der Ritter mit der traurigen Gestalt. Schließlich folgt Nathan den Anweisungen seines journalistischen Lehrmeisters, der ihm eintrichtert: "Vergiss nicht [...]: Die Reportage ist eine Kamerafahrt mit Sprache. Geh nah dran und mach einen Schwenk. [...] Worüber auch immer du schreibst - es ist nicht das Paradies. Wer das Paradies findet schreibt keine Reportage mehr." Der Untertitel in der Art französischer Romane der Aufklärung, "Die Erziehung zur Lust", erweist sich so als Falle.

Nah dran ist Robert Menasse mit diesem Roman am Lebensgefühl vieler Menschen seiner Generation. Wir hören einen Zeitroman voller Witz und Ironie, mit Anekdoten und Exkursen, der seine Konstruiertheit immer wieder deutlich macht und vielleicht gerade deshalb auch erstaunlich authentisch wirkt. Robert Menasse liest brillant in einem unverwechselbar österreichischen Ton, der gerade das Mehrdeutige hörbar macht. Offensichtlich ist der Vorleser mit Freude und auch einer gewissen Verschmitztheit bei der Sache. Gabriela von Sallwitz hat das Buch gekonnt eingerichtet, die Kürzungen so vorgenommen, dass sie nicht nur nicht auffallen, sondern vielleicht das Buch insgesamt verbessern. Vor allem die zweite Hälfte des Buches scheint durch die Streichungen eher gewonnen zu haben.

Erstaunlich wie leichtfüßig heute dieser kombinierte Ur-Typus der europäischen Literatur daherkommt, wenn er auch tagelang nicht aus der Badewanne steigen möchte oder so ungelenk wie Woody Allen auftritt. Dass die Sage vom blinden Seher Teiresias, der die Frage der Götter, wer den nun mehr Lust empfinde, Mann oder Frau, auch heute ins Bild gesetzt werden kann, dieses Buch macht es hörbar.

Den CDs liegt ein kleines Booklet bei mit Informationen über den Autor und einem erfrischenden Interview mit ihm. Darin meint er von Nathan, dieser sei ein Liebessüchtiger, der so weit gehe, dass er sich sogar die Liebe der Leser wünsche. Weil wir erwachsen sind und ironische Spielchen schätzen, gestehen wir ihm etwas von dieser Liebe.

 

Helmut Sturm
15. Mai 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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