logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Der sanfte Sprengmeister - Portrait Gustav Ernst

Juli 2002

Von "Exit" bis zu "Faust", das Schaffen von Gustav Ernst ist vital bis kraftmeierisch, angriffslustig und recht körperlich. Eine Fleischbeschau von Karin Cerny.

Wenn die Figuren in Gustav Ernsts Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern etwas nicht können, dann ist das: Sich beherrschen. Sublimieren in Sprache ist ihre Sache beileibe nicht. Wären sie in einem Western, würden sie sich den Weg frei schießen. Weil sie aber eher als Verbrauchswaren in unserem kapitalistischen System gedacht sind, bleibt ihnen nur die Explosion, die sie gleich selbst mitentsorgt. Nehmen wir Josef Korsch, ein nicht mehr ganz junger Wiener Schriftsteller, dem wir in dem realistischen Künstlerroman "Einsame Klasse" (1979), der viel Zeitgeschehen einbaut, zuschauen können, wie er sich in Kunst und Beziehung zwischen Anspruch und Realität herumquält. Gegen Ende, als sich das Projekt Arena, als in Wien 1976 plötzlich Aufbruchstimmung herrschte, zerschlagen hat, sagt er: "Einmal mindestens muß man doch explodieren können im Leben, damit man sieht, was herausfliegt". Gustav Ernst, Jahrgang 1944, ist Sprengmeister. Explosion sein Metier. Ihn interessiert, welche äußeren Druckverhältnisse auf welche inneren Disposition stoßen müssen, damit ein Knall zustande kommt.

In dem viel beachteten Theaterdebüt "Ein irrer Haß" (1979 im Frankfurter TAT uraufgeführt) sehen wir in filmischen Kurzszenen wie ein junger Mann nach acht Jahren aus dem Knast kommt und die Anpassung an den Arbeitsmarkt verweigert. Seine Verzweiflungstat - er kidnappt eine Frau - geht natürlich schief. In "1000 Rosen" (1990), einem recht monologischen Stück, hängen alle von einer Fabrik ab und träumen von der Modernisierung (die ersten Computer). Harry, eine Figur, wie Franz Biberkopf in Fassbinders "Faustrecht der Freiheit", klinkt aus, als er merkt, er verliert seine Frau an einen, der hoch hinaus will. Am Ende wird er den aufstrebenden Liebhaber mit der Kettensäge erledigen. In dem städtischen Gegenheimatfilm "Exit ... nur keine Panik" (1980, Regie: Franz Novotny, Drehbuch: Ernst/Novotny) lassen Kirchhoff (Hanno Pöschl) und Plachinger (Paulus Manker) ihre Schwänze und ihre Fäuste sprechen, die beiden delirieren durch ein Wien zwischen Underground (das "Hotel Morphila Orchester" brüllt "Liebe ist ein Hospital"), Filmzitat (Eddy Constantine) und Aufbegehren gegen die Kleinbürgerenge (spektakuläre Schlägerei in der Kegelbahn). "Exit", ein Kassenschlager, setzte eine "aggressive Idylle" (Ernst) gegen die damals üblichen biederen TV-Idyllen. Oder wie Claus Philipp in dem lesenswerten Buchbeitrag in "Der neue österreichische Film" schreibt: "Dieser Film nimmt, was er kriegen kann, wenn es nur als effizienter Schlagstock gegen die verordneten Einschränkungen verwendbar ist". Prompt wurde dem Film Gewaltverherrlichung und Sexismus vorgeworfen, worauf Ernst in einem Artikel erwiderte: "Der Zuschauer, so sehr er sich auch dagegen stemmt, erlebt die Gewalt, wie die Gewalttätigen im Film sie erleben: lustig." "Exit" (von "Exit II", dem blutleeren Aufguß wollen wir nicht reden), gerade von linker Seite stark angegriffen, wollte Gewalt nicht von einem sicheren, geklärten Standpunkt aus betrachten, sondern den Zuschauer geradewegs mit seinen geheimen Lüsten konfrontieren. (Das Thema Sexismus müsste man differenziert betrachten, wenn in "Exit" einer jungen Frau in der Schlägerei das Top herunterrutscht, ist das nicht so weit entfernt von jenem Heimatfilmfeindbild (siehe Franz Antel), von dem man sich ja eigentlich abgrenzen will.)

Die Texte von Gustav Ernst sind von einer massiven Körperlichkeit. Seine Sprache gerne zotig, deftig, frontal und manchmal auch kraftmeierisch. Seine Männerfiguren mitunter cholerisch, was seine Frauenfiguren zwar nicht als Opfer, mit gehörigem Widersinn aber letztendlich doch zu tragen bereit sind. Beschimpfungen wie "halt endlich die Goschn" sind noch harmlos, fast schon liebevoll gemeint, im Vergleich zu "Futfetzen, Scheißhaus", wo der Schritt zur Vergewaltigung in der Beziehung nicht mehr weit ist (was aber nicht zwangsläufig zur Trennung führt). In beiden Romanen "Einsame Klasse" als auch "Trennungen" (2000) betrügt eine Frau ihren Mann, nach langen, recht lustigen Gesprächen über den Schwanz des Nebenbuhlers, fickt der Mann den Nebenbuhler aus seiner Frau heraus. Prüde ist die Literatur von Gustav Ernst, der in Wien Favoriten aufgewachsen ist, nicht. Manchmal weiß man nicht so recht, wie man sie nehmen soll. Zeigt "Trennungen" das Scheitern eines liberalen Lebensmodells (Fremdgehen ist kein Problem), ist es der seltsame Befreiungsversuch eines Mannes aus den Armen seiner Mutter und seiner Frau? Eins ist klar, und das bekommt man schnell im Gespräch mit Kollegen schmunzelnd vermittelt, Gutmensch ist Gustav Ernst, der sich durchaus links positioniert, keiner. In "Einsame Klasse" spielt Ernst locker mit Zuschreibungen von Kritikern. Ein Schriftstellerkollege sagt im Buch: "Aber Gustav Ernst ist doch so sexfixiert, schreibt ständig über das Pudern." Korsch, die Hauptfigur antwortet: "Die deutsche Literatur ist eh wie ein Kloster."

Der Blick von Gustav Ernst geht "auf das Fleischliche der menschlichen Existenz und das ohne Sentimentalität", beschreibt es Franz Schuh, der zugleich vom "proletarischen Spätbarock in dem Gustav Ernst lebt" spricht. Der Familienmensch Ernst (drei Kinder, geht joggen) ist der höflichste Gastgeber, den man sich vorstellen kann. Kommt man zum Interview steht der Kaffee am Herd, der Kuchen am Tisch. Wer sich einen wilden Typen vorstellt, wird durch einen freundlichen Menschen mit Schnurrbart überrascht. Alle Widersprüche scheinen - anders als im Werk - harmonisch zur Ruhe gebettet. Überkäme Ernst nicht regelmäßig die Lust an der öffentlichen Erregung. Karl-Markus Gauß hat im heftig und polemisch geführten Streit um das Konzept der Literaturzeitschrift "Wespennest" (von 1969 bis 1996 war Ernst Herausgeber), der damit endete, dass Ernst, gemeinsam mit seiner Frau Karin Fleischanderl 1997 die eigene Zeitschrift "Kolik" gründete, einmal gesagt: "Ernst ist eher ein Wirtshausraufer als ein heimtückischer Stilist, der seine Gegner florettiert" (Falter 13/1999). Als solcher schlägt er quartalsmäßig zu, in letzter Zeit vor allem mit Polemiken im Kolik-Editiorial, über Kritiker, über das Hochkulturtheater, über Walter Famler, den neuen "Wespennest"-Herausgeber.

Ernsts Oeuvre ist im Grunde genommen recht schmal: Drei Romane, einige Kurzgeschichten und Hörspiele, etwas über zehn Stücke, meist Auftragsarbeiten. Als Theaterautor hat Ernst steil begonnen ("Ein irrer Haß"), ist dann über viele Ebenen gewandert, wäre wahrscheinlich ganz verstummt, hätten ihn Regisseure nicht zurückgeholt. Ein Glücksfall war der holländische Theu Boermans, dem mit "Faust" 1997 im Schauspielhaus die Inszenierung des Jahres gelungen ist. Die Idee stammte von Boermans: Faust ist ein Genussmensch, dem der Genuß im grenzenlos gewordenen Freiheitsraum der Kunst zum Überdruß wird. Vielleicht ist er ein zu Wohlstand und Anerkennung gekommener Aktionist. Durch Mephisto angestachelt sucht er die reale Gewalt. "Faust" von Boermans war ein Abend, der völlig überraschend vom Grassen ins Sanfte umschlug, vom Kabarett in den Aktionismus, von der Nacktheit zur Scheu fand. In Holland steht Gustav Ernst dank Boermans erstaunlicherweise gleichbedeutend neben um eine Generation jüngeren experimentellen deutschsprachigen Autoren, wie Rainald Goetz und Werner Schwab.

Die Stücke von Ernst, insofern sie geglückt sind, um eine Wendung von Franz Schuh zu verwenden, sind weder reine Textflächen, wie etwa jene von Elfriede Jelinek, noch ist die Sprache realistisch zu nehmen, obwohl Ernst von Anfang an einer realistischen Schreibtradition verhaftet ist. Die Sprache weiß mehr als ihre Sprecher, weshalb auf der Bühne die Figuren sehr leicht verloren gehen können. Verstärkt wird das durch einen seltsamen Widerspruch: Während Ernsts Romane mit Dialogen glänzen, tendieren seine Stücken zum Monolog. Der Regisseur Boermans ist für Ernst deshalb ein Glücksfall, weil es ihn reizt, ob einem Textmonolog ("Es sind lästige Texte, weil sie so massiv und hermetisch sind") nicht Fleisch anzuhängen ist, denn: "Auch ein Stein kann tanzen." Stücke, die weniger geglückt sind, bzw., wenn ein Regisseur nichts Fleischliches dagegenstellt, werden zur Anhäufung berechenbarer Kritik an Kunstmarkt, Kulturpolitik, Politik. Eher direkte bis kabarettartige Schimpftiraden, die sich - wie alles, was sich in diesem Genre versucht - an dem Meister Thomas Bernhard messen lassen müssen, und dann schnell absinken. "Ideale Verhältnisse", das im Theater in der Drachengasse lief, war flott und komödiantisch von Erhard Pauer inszeniert. Es lässt ein Ehepaar Stationen österreichischer Geschichte im Schlafzimmer durchdeklinieren und kommt dabei ins penetrante Aufzählen von Kreisky bis Zwentendorf. Mehr Geschick hat Pauer bei "Strip" in der Gruppe 80 bewiesen. Nachdem niemand zu ihren Lesungen kommt, beschließen Literaten ein Casting für einen Literatur-Strip ("Penis Poetry") abzuhalten. Was sich beim Lesen schwer nach These (Literatur kann nur als Event überleben) anhört, kam auf der Bühne wortwörtlich zum Tanzen (ein ziemlich professioneller Strip am Ende). Im Frühjahr 2002 ist eine Neubearbeitung von Wedekinds "Lulu" aus der Feder von Gustav Ernst zu erwarten. Lulu, eine Projektion der Männer, rächt sich. Ganz im Sinne von Ernst: Einmal muß man explodieren dürfen!

In leicht veränderter Form zuerst in der Stadtzeitung "Falter" erschienen.

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 22 – Paul Divjak

Mit Rebranding flugschrift greift der Autor und Künstler Paul Divjak das Thema von...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...