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Immer noch dieselbe Welt - und doch hat man Geduld. Diesen Satz aus einem undatierten Protokoll Benjamins hatte ich mir auf meine Studie umgemünzt. Ich bin so traurig, daß ich fast ununterbrochen gefallen muß um zu leben. Diesen habe ich im Text auch angestrichen; wann immer ich dahingelange, überlese ich ihn, er erschüttert mich. Buch und Notizbüchlein lagen aufgeschlagen vor mir. So lagen sie schon lange, und zwar unberührt. [...] Die Gesichtsfarbe noch ungesünder als gewöhnlich, schlug der Vierte Tenor mit der Faust auf den Tisch. Noch einmal und noch einmal. Kaffeetasse, Wasserglas und Löffel klirrten zusammen. Da sprang er auf. "Ja ist denn das Musik!" rief er, und stand mit wenigen Schritten in der Lokalmitte, "Ja muß man derartiges seinen Ohren zumuten?!" Überall reckte man sich nach ihm, der die Rechte trichterförmig ums Ohr gelegt hatte, als wolle er es zu den Boxen ziehen, während die andere Hand höhnisch dirigierte. Der Herrdoktor stützte seinen Kopf in die Hände, und Karin Werner nickte. Herr Johann eilte zur Orientierung aus der Küche und forderte Herrn Ferdinand kopfschüttelnd wann-wenn-nicht-jetzt einzuschreiten auf. Blutrot schritt der Vierte Tenor sternförmig aus. "Da!" rief er, "ha!" und streckte die langen fleischigen Arme nach den Lautsprechern. Unter verstörten Blicken eilte er zum nächstbesten Tisch. Einen kaum Dreißigjährigen, der den Vierten Tenor kommen gesehen und sich mitsamt seiner Zeitung vorsorglich abgewandt hatte, packte er am Ärmel. "Hören Sie das?" rüttelte er ihn und wippte den Kopf zum Takt, "hören Sie? Sagt da nicht irgendetwas: das ist unmöglich?"
(S. 59f.)
© 2003, Edition lex liszt, Oberwart. Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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