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Nie Meer
I. In diesem Moment fielen die ersten Tropfen vom Himmel. Das grosse Regnen begann. Schon prasselte Wasser gegen die Fensterscheibe, durch welche Gustav in den Garten starrte. Das Licht wurde stumpf und trüb und passte sich Gustavs Stimmung an. Sie war finster, seit Gerlinde die lang geplante Reise in die Südsee hatte stornieren müssen, weil es ihr nicht gelingen wollte, ihre Flugangst zu überwinden. Adieu, feiner Sand und hohe Palmen. Kein Tauchkurs, keine Korallenriffs, keine Fische. Stattdessen würden sie zu Hause Ferien machen. Gustav stöhnte. Der Tag war ihm gründlich verdorben. Jäh war er erwacht aus seinem Traum: Die Südsee, das schönste aller irdischen Paradiese. Hundertmal hatte er die Prospekte gelesen. Auswendig kannte er sie. Langusten, Schalen- und Stacheltiere, vielfarbig glitzernde Tropenfische, aber auch grosse seltene Arten wie Wale bevölkern Lagune und Meer. Darauf hatte er sich wie ein Kind gefreut. Und erst die Wärme. Die unvergleichliche Transparenz des Wassers. Es würgte ihn der Gedanke, was er nun alles verpassen würde. Nie die Farbe des Meeres sehen? Nie seinen Geruch riechen? Nie sein slaziges Wasser mit den Lippen kosten? Und wenn er sich gar den Spott der Arbeitskollegen vorstellte ... Wie oft hatte er doch mit seiner Reise in die Südsee geprahlt, die einmal etwas anderes sei als das ewige Wandern über Alpenweide und Fels. Und jetzt regnete es auch noch in Strömen. Gustavs Zorn wuchs. Er war gewiss kein böser Mensch, aber jetzt hatte er eine Stinkwut, und die musste sich entladen und zwar umso heftiger, je mehr er wähnte, Gerlinde habe ihre Flugangst einzig ihm zuleide entwickelt. Dabei musste sie doch wissen, wie wichtig ihm die Reise war. Meer! Frische Luft!, schrie er. Ich brauch mehr frische Luft! (S. 7)
© 2008 Bibliothek der Provinz, Weitra.
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