Eine Geliebte ist eine Frau, in deren Leben man zu spät eingetreten ist. Das Umstandswort »zu spät« zieht wiederum die ungeheuer traurige, in ihrer Bestimmtheit aber restlose Information nach sich, dass die angebetete Unruhestifterin schon an jemanden vergeben ist. Sollte der Zufall bösartiger als Krebs sein, dann ist sie darüber hinaus verheiratet; und sollte die Person, deren Geliebte sie ist, das Schicksal eines wahren Pechvogels annehmen, hat sie des Weiteren ein Kind – das einzig zu rechtfertigende Hindernis eines heiß begehrten außerehelichen Verhältnisses.
Im Großen und Ganzen eine Konstellation, die nie und nimmer einen glücklichen Ausgang der Geschichte, dafür aber mindestens eine große Liebe ergeben muss. Ich gebe zu, ich bin keine Expertin auf dem Gebiet, man sagt aber, dass die gewöhnlichen, nicht sehr an die Dynamik der Gefühle gefesselten »Liebesgeschichten« den Alltag grau und grauenvoll machen, ihm jedoch standhalten; die gegensätzlichen, durch die Intensität der Emotionen beschleunigten und somit vor der enttäuschenden Einkehr des Alltages abgebrochenen, bleiben im Herzen verankert; umso verzweifelter weint man ihnen ein Leben lang nach; genauso wie allen anderen Dingen, die man bis zum Überdruss nicht gekostet hat. Die Ungewissheit, wie es hätte werden können, wenn man mit der geliebten Person doch zusammengeblieben wäre, verkehrt sich in die Hoffnung, die im Grunde ihres Wesens absolut keine Möglichkeit offen hält, unerfüllt zu sein. Dies und nichts anderes verleiht ihr die Gewalt, die Hoffende bis zu ihrem Tod zu quälen.“
(S. 9)
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