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Lydia Mischkulnig: Schwestern der Angst.



Roman.
Innsbruck-Wien: Haymon, 2010.
244 Seiten; geb.; Euro 17,90.
ISBN 978-3-85218-642-9.

Link zur Leseprobe

Lydia Mischkulnigs Roman einer Abhängigkeit

Es ist die Geschichte einer Besessenheit, die Lydia Mischkulnig in ihrem neuen Roman Schwestern der Angst mit geradezu pathologischer Liebe zum Detail beschreibt. Renate und Marie sind Halbschwestern mit einer gemeinsamen Mutter und verschiedenen Vätern. Sie sind ein Gegensatzpaar, zwei Hälften: die dunkle, neurotische Renate und die helle, "normale" Marie.

Erzählt wird die wahnhafte Beziehung Renates zu ihrem Umfeld, besonders aber jene zu ihrer Schwester. Es ist eine Biografie mit Abgründen, und erzählt wird ausschließlich aus der Sicht von Renate, was durchaus reizvoll ist. Sie wächst im Osten bei den Großeltern auf, die Mutter ist im Westen um zu arbeiten und verlässt das Kind, ein Missbrauch durch den Großvater wird angedeutet, ein Milieu von Alkohol und Gewalt prägt das Aufwachsen. Dann erscheint die Mutter und holt – mit einem zweiten Kind im Bauch – Renate in ihr zweites Leben. Marie wird geboren, aber die Mutter stirbt bei der Geburt, woraufhin Renate ihre Rolle übernimmt. Es ist diese inzestuöse Fantasie der Protagonistin, die sich wiederholt, die den Wahn Renates immer weiter steigert, bis sie schließlich keine Grenzen mehr kennt, kein Gut und Böse, keine Moral.

Dieses Kippen wird durch Paul ausgelöst, der Renate scheinbar die Liebe verspricht, um sich dann doch für die gute Marie zu entscheiden; dabei ist er ein Ungeheuer, der die wehrlose Renate, die sich ihm jungfräulich wie eine verirrte Vestalin darbringen will, vergewaltigt. Und nun will er auch noch die Schwester, das liebe Kind, verderben. So erscheint es Renate, so lügt sie sich ihre Welt als Vorstellung zusammen. Den scheinbar verlässlichen Tatsachen, immerhin ihre Biografie, ist zu misstrauen, man merkt, die vorgeblich logischen (auch moralischen) Schlussfolgerungen, die Renate zieht, sind bloß Ausdruck ihres Wahns. Eines Wahns, der vorgibt, die Schwester zu lieben, und so tut, als urteile er über gut und böse, der tatsächlich aber zu Gewalt greift, um die verletzte Eitelkeit zu befriedigen.

So kommt es dann auch, denn Mischkulnig treibt den Roman durch grausige Szenen und blutige Handlungen voran und der Leser reagiert mit Scheu, Ekel, aber auch Faszination. Die Autorin beschreibt Obszönitäten wie Alltäglichkeiten mit den gleichen Worten, bleibt bei einer trockenen, fast porösen Sprache, die emotionslos und genau die grausigen wie abseitigen Gedanken der Protagonistin beschreibt, erzählt in oft kurzen, atemlosen Sätzen, atemlos wie Renate selbst, die mehr eine Getriebene ist, ein Opfer, bis man wieder begreift, dass ja sie selbst die Geschichte erzählt, dass alles Erzählen eine Lüge ist und man das Gegenteil annehmen kann, dass Renate doch ein Scheusal ist usw.

Diese knifflige Konstruktion erzeugt auch dieses Schaudern, das Schwestern der Angst auf eine abgründige Art unterhaltsam macht, eine rasante Fahrt in der Geisterbahn, bei der man sich sicher ist, dass die Gespenster nicht echt sind. An einer Stelle wird die Erzählung gebrochen, als Renate ein Gespräch zwischen Marie und Paul mitanhört und man einen Eindruck davon bekommt, wie anders ihre Umwelt Renate sieht, und dass ihre Eindrücke vermutlich nicht der Wahrheit entsprechen.
Diese Außensicht auf die Ereignisse würde dem Roman guttun, denn so verliert sich die Tirade einer Biografie, in die sich Renate verstrickt, in eine rasante, aber einseitige Blutmetaphorik rund um die Rachegelüste einer narzisstisch gekränkten Schwester.
Dabei wollte Renate nichts anderes als geliebt werden.

 

Bernd Schuchter
10. September 2010

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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