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Christoph Ransmayr: Der fliegende Berg

Es liest der Autor
8 CDs mit Booklet
ISBN 3-86610-100-7
Berlin: Argon Hörbuch, 2006

Manche Kritiker haben sich über den Flattersatz mokiert, in dem Ransmayr diesen Roman konzipierte, doch entspricht dieser tatsächlich dem langen, schwingenden Erzählen, das wie die Dünung der Seele sich hier hebt und senkt, so wie auch die See und ihre Welle rollt. Gelesen hat es etwas Rufendes, wenn Ransmayr die Endsilben überdehnt und nachklingen lässt, es raunt und singt im Tonfall der Sage, bringt in Ton und Gestus viel vom Flug, vom Aufstreben, vom Wind und den Wolken zusammen über den Klippen, sei es in Tibet, sei es auf Horse Island vor der irischen Küste, diesen extremen Außenposten der Zivilisation, die die Erzählung vermittelt: das technologisch vernetzte Steinhaus auf der Felsinsel des Bruders und die Jurten der Nomaden in den Hochtälern des osttibetischen Himalajas. Erstaunlich, wie unproblematisch diese beiden Erzählkonturen zusammengehen, als wäre der Urgrund des Textes dieses Rollen der Welt, das Uterin-Marine von Meer und das Patriarchale des Bergs. Beides verbindet das Bad des Ich-Erzählers am nächtlichen Gebirgsbach, das die tibetische Nomadin beobachtet, unbefangen nimmt sie ihn auf in ihr Zelt.

565 Minuten (das sind 9 Stunden und 25 Minuten) liest Ransmayr mit Eindringlichkeit, mit einem über sich hinausweisenden Ton des Nachdrucks und der Bedeutsamkeit auch im Marginalen, immer wieder klingt es auch nach flehender Anerkennung, wenn es um die Härte Liams geht, seine Nutzenrechnung und Zielorientiertheit, mit der er lokale Grausamkeiten indifferent vorübergehen lässt und die Weichheit und Verliebtheit des Erzählers nicht teilt. Wie schon in Ransmayrs frühem Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" geht es auch um Territorialisierung, um Aneignung durch Benennung: "Wir sollten (...) zu Landtäufern werden". Es geht um Zweifel am Unternehmen und Zwist: Welt-Geborgenheit hier, männliches Streben dort, im Bruder Liam personifiziert, dazwischen schwankend der Ich-Erzähler, in dessen zögernder Perspektive der Roman durchwegs erzählt wird.

Alpinklassisch ist die Anthropomorphisierung des Berges, der sich entzieht, verhüllt, zeigt in seiner Macht, droht und besiegt wird, ein Mythos, der bereits vielfach literarisch den Verstandeszonen entrückt wurde; Ransmayr tut dies nur mit weit raffinierterem Wissen und einer Kunstsprache der Extraklasse. Die Selbstüberhöhung ist dabei manchmal prekär: Auratisierend, rebellierend, aber letztlich angepasst, so spricht der Ich-Erzähler an gegen den Bruder, gegen das Leiden, gegen den Tod. "War ich sein Schatten", fragt er, als der Passive, gegenüber dem Aktiven in einer intensiv ausgebreiteten Kindheits- und Brudergeschichte. Manches gerät dabei gar schwülstig: Dem homosexuellen Bruder will er "den Gipfel schenken", und mangels relativierender Korrektive versteigt er sich zu pathosgeladenen Selbstbezichtigungen wie: "Ich habe meinen Bruder getötet."

Unerwartet angesichts der alpinistischen Erfahrung des Autors sind diverse Beschreibungsfehler wie zersplitterte Baumstämme in einer Himalaja-Lawine, und wer schreibt da oben schon mit dem Pickelschaft seinen Namen in den Schnee? Im Hasard der Besteigungsversuche solch vertikaler Eiswüsten sind alle über das Notwendigste hinausgehenden Namen und Worte kontraproduktiv. Das beschriebene Gewittererlebnis oder das "Sanfte des Oben" auf einem Siebentausender sind so nicht wirklich denkbar, und manchmal lässt das Sicherheitsventil der Metaphorik gar viel heroischen Dampf ab. Mit Ausdrücken wie: "Weißglühende Funken und Schneekristalle", "umloderte Grate", "jeder allein in der donnernden Leere", "krepierende Wolken", "mit tobenden Fingerkuppen schrieb ich ...", überhöht hier der der Autor emphatisch sein Geschehen bis es am Ende heißt "die Bildschirme sind erloschen" und so eine stärkere Natur das technische Flimmern besiegt.

Selbst Trivialitäten werden zu sprachlichen Kleinodien: Wenn der klapprige Lastwagen nach tagelanger Fahrt über wüste Bergstraßen endlich ankommt, liest sich das: "als endlich unser Wagen zum Stillstand kam", dieses "von Lehm wie überbackene Gefährt"; "caked in mud" könnte hier die englische Inspiration gewesen sein. Welcher irische Ausruf seines rauen "Captain Daddy" wäre aber hinter dem im Deutschen doch eher großmütterlich klingenden "Gütiger Himmel" vorzustellen, den der Sohn übernimmt? Der Text erscheint hier zunehmend als Übersetzung zu einem Original, das es nicht gibt, was seine Künstlicheit noch betont. Manch Anglizismen dienen eher der stilistischen Verfremdung: "Master Kaltherz" (wie Liam genannt wird) klingt wie eine Übernahme von "cold-hearted", was eher doch hartherzig oder steinernes Herz meint, und so auch an eine Art Ritter Eisenherz erinnert, und so folgen diese Figuren auch dem Schema der Suche nach dem heiligen Gral: den Gralsritter Liam begleitet wie sein Knappe, treu, hingegeben, aber nicht ganz zuverlässig sein Bruder, der Ich-Erzähler. Seltsam, dass Liam dabei als Person nie klar fühlbar und präsent wird, zu sehr bleibt er männliches Prinzip und Programm, selbst wenn er den Ich-Erzähler als Schlappschwanz und "mouse pad" verspottet.

Solcherart legen sich manchmal leichte Befremdungen unter den Text, sprachlich wie inhaltlich. Eine weitere ist das Frauenbild, das Ransmayr hier zelebriert; es beginnt schon mit der Privatheit der Widmung, die auch gelesen wird: "Judith, für dich." Der Verklärung und dem Gefühl einer allumfassenden Liebe tendiert der Roman zu, indem er sich dem Prinzip männlicher Algorithmen und der digitalen Vernetzung der Welt zu entziehen trachtet - paradoxerweise in einem Prozess, den er mit der Besteigung des letzten weißen Punkts am Pixelraster der Bildschirme definiert. Selbst diese Technologie bleibt dabei als Werkzeug in den Kontext der Gottessuche integriert, sieht auch das World Wide Web bloß als weiteres Instrument im Dienst mythischer Erzählung.

Zu sehr kontrolliert der Ich-Erzähler in seinem Vorauswissen (und im heimlichen Triumph des Überlebenden, während der Herausforderer Liam notwendig am Überirdischen scheitert und zugrunde geht), als dass Liam sich erzählerisch in eigener Dynamik entwickeln dürfte. Die Geschichte wird schließlich ja vom Sieger in dieser Konkurrenz erzählt, der am Ende die Bildschirme und Datenbanken des Bruders löscht, seine Geschichte damit aus der Historizität nimmt und Abschied nimmt aus dem Erzählkontext. Ransmayr ist ein Meister präziser, manchmal fast mit Stifterscherscher Langatmigkeit und Genauigkeit ausformulierter Bilder, Eindrücke, Stimmungen und psychischer Schattierungen seines Ich-Erzählers; aber in alles andere dringt er nicht wirklich vor. Wenn man Literatur daran misst, welche Bilder bleiben, dann muss man sagen: Berückend und unvergesslich ist die Beschreibung der Schwärme von Apollofaltern, die zu Tausenden in langen dunklen Wolken über Himalajapässe ziehen, und die später erfroren auf die Brüder herab schneien. So genau, filigran und entrückt wird das beschrieben, dass sich die Frage nach Stichhaltigkeit und Realität nicht mehr stellt: Hier will der Text nichts beweisen und behaupten, hier ist die Konkurrenz von Kunst und Wirklichkeit überwunden durch die atemberaubende Prägnanz poetischer Imagination.

Martin Kubaczek
4. September 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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