Nestroy geht schnell durch das Bühnentürl des Theaters an der Wien, einige Begeisterte stürzen auf ihn zu und bitten ihn, Witze aus dem Stück zu wiederholen. Nestroy antwortet, er könne nur gegen Bezahlung lustig sein, ohne Gage falle ihm nichts ein, und läuft zu einer wartenden Equipage. Er steigt in die Equipage, sie fährt weg. In der Equipage sitzt eine junge, schöne Frau, sein Frau, Wilhemine, geborene Wilhelmine Phillipine von Nespiensi. Sie ist ein paar Jahre jünger als Nestroy, hat volles, rotes Haar, das von einer Kopfhaube kaum gebändigt wird. Die Eheleute haben sich sechs Jahre lang nicht gesehen. Sie werden von der schnellen Fahrt der Equipage durchgerüttelt und starren einander an. Nestroy geht in Gedanken das ganze Arsenal seiner Vorwürfe durch: "Warum hast du mich verlassen?" wird er sie fragen. (S. 11f.)
Nestroy sitzt im Kaffeehaus an seinem Stammtisch und trinkt. Der Besitzer des Kaffehauses, Herr Anselm Weidinger, den sie "die Amsel" nennen, schenkt Nestroy aus einer Weinflasche nach. Nestroy trinkt das Glas in einem Zug aus. "Das wievielte war das?" fragt Nestroy den Besitzer. "Das Vierte", sagt dieser. "Nach meiner Berechnung hab' ich erst drei getrunken", sagt Nestroy. "Ich verlaß mich ganz und gar auf die Berechnungen des Herrn Nestroy", sagt Herr Anselm Weidinger und schenkt ihm das nächste Glas ein. "Erst nach einem Dutzend kann ich vergessen, was für ein Mißerfolg der heutige Abend war", sagt Nestroy. "Aber Herr von Nestroy", antwortet Weidinger lachend, "Sie reden von einem Mißerfolg und das Publikum jubelt. Sie sind wirklich der g'spaßigste Mensch von Wien". Er schenkt ihm ein weiteres Glas ein. Einige Gäste prosten Nestroy zu. (S. 20)
(c) 1998, Luchterhand Literaturverlag, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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