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Leseprobe: Evelyn Schlag - "Architektur einer Liebe."



(S. 32/33)

Hinter ihr ging jemand vorsichtig genießend durch den Saal. Seine Schritte gaben dem Raum ein Maß, das sich in etwas Endlichem ausdrückte, einer hörbar zurückgelegten Strecke. Er blieb vor dem Stilleben stehen. Toria drehte den Kopf verärgert zur Seite, wollte ihn strafen dafür, dass er sie aus ihrem Lichtschloss holte. Ein grauhaariger Mann, Anfang fünfzig vielleicht. Mit einem Blick erfasste sie ihn, ein Mann, der auf sie zuströmte, mit dem Steckbrief übereinstimmte, den ihr Körper blitzschnell ausgab - größer als sie, braune Wildlederjacke, die zur Seite stand, wo er die Hände auf die Hüften stützte, anthrazitdunkles Hemd, der Gürtel braun, die Hose dunkel. Sie schaute erschrocken wieder hoch, sein Gesicht, die Flächen seiner Wangen, blaue Augen hinter einer unauffälligen Brille.
Hatte er sie auch schon eingeschätzt, ihre Figur in dem schwarzen Anzug mit dem raffinierten Zippverschluss quer über ihre Brust? Ob sie älter oder jünger aussah, als sie wahrscheinlich war? Ob sie kämpfte? Er sah ihr schon lange in die Augen, manchmal auf die Stirn und die Wangen - wie lange? Nicht eine, zwei, drei, vier Sekunden, mindestens fünfzehn - er konnte jeden Moment weitergehen, als sei nichts geschehen. Sie versuchte ein Lächeln mit geschlossenem Mund, spöttisch, um ihn zu etwas hinzureißen, und zu ihrer Entlastung, damit sie das aushielt. Das Lächeln hob ihren Kopf gerade genug, dass wieder der Lichtschwall auf ihre rechte Gesichtshälfte fiel. Dem musste sie ausweichen, indem sie den Kopf wieder senkte. Als hätte sie genickt.
Sie waren zwei Museumsbesucher, für ein paar Momente allein mit berühmten Bildern. Längst sollten sie zeigen, dass sie ihr Fremdsein respektierten. Sein Blick ließ aber nicht los. Es war nicht anzunehmen, dass er in ihr die Architektin Vittoria Monti erkannte. Er starrte sie nicht an, er schaute.
Die Möglichkeiten, diesen Mann nicht fortzulassen, hämmerten in ihrem Kopf. Eine Begrüßung sagen, in welcher Sprache, fragen, ob ihm Matisse gefällt, was für eine aufregende Stadt, ich würde gerne mit Ihnen zu Abend essen, wohnen Sie zufällig im Angleterre. Er sah aus, als brauche er sie nicht, er hatte Freunde, er hatte einen Abend, vor dem er sich nicht fürchtete. Er war ein Mann. Er konnte allein in St. Petersburg sein oder nicht, das war egal. Warum brachte er den Mund nicht auf? Er biss sich auf die Unterlippe und kapitulierte vor der Chance. Sie blieben beide stumm.

© 2006 Zsolnay Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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