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Leseprobe: Martin Kubaczek - "Sorge. Ein Traum."



Der Beamte öffnete die eiserne Doppeltür. Die Türen hatten je ein Fenster aus schwerem Glas, er sah, wie sich in ihnen die Linien und Konturen verwarfen. Die Türen schlossen schwer, sie waren aus grau lackiertem Doppelwandstahl, vermutlich konnte man nichts mehr hören, wenn sie geschlossen waren. Die Kammer war nicht beleuchtet, nur durch diese beiden Glastüren kam das elektrische Licht aus dem Raum, den sie eben durchquert hatten. Er blickte auf den Boden: eine Metallklappe. Zwei Eisenplatten, in der Mitte überlappend. Die beiden Klappen würden sich nach unten öffnen, der Boden würde unter seinen Füßen verschwinden und er würde in einen lichtlosen, unendlichen Raum fallen. Links und rechts, entlang der mit Metallplatten beschlagenen Wände, konnte er die Rillen der Scharniere sehen. Die Klappen mussten von unten verriegelt sein, innen war der Raum ganz glatt. Es war eine metallische Kammer.
Haben Sie noch einen Wunsch? Eine Bitte? Eine Frage? Nein, sagte er ruhig, er sei bereit. Ein Shinto-Priester hatte ihn vor dem kleinen Schrein erwartet, sich mit gefalteten Händen vor ihm verbeugt, mit seinem seltsamen hohen schwarzen Hut und seinen weit fallenden roten und weißen, darunter grün-golden bestickten Gewändern, die Kette mit den dunklen hölzernen Perlen zwischen den flach gegeneinander gepressten geröteten Handflächen und er, Sorge, hatte sich zurückverbeugt, mit gefalteten Händen: Geh ohne Zorn aus dieser Welt. Der Priester hatte mit einem Fächer aus immergrünen Sakkai-Zweigen über seinen Kopf und über Schultern und Körper gefächelt. Er hatte ihm, in einem leisen, monotonen Gesang eine Sutra rezitierend, ein Schälchen mit geweihtem Sake gereicht zur Reinigung. Vor dem kleinen Wandaltar war in der kalten Luft der dünne Faden Rauch von einem Bündel glosender Räucherstäbchen aufgestiegen und hatte sich kräuselnd vor dem goldschimmernden Relief verloren.
Er liebte diesen Duft, er atmete tief ein, es machte ihn matt und dumpf, üppig und schwer. Er hatte sich umgewandt und sich verneigt vor der kleinen Gruppe von Personen, die schweigend zu ihrer Aufgabe versammelt standen: dem Gefängnisdirektor und dem Staatsanwalt, er hatte sich bei den Wächtern bedankt mit einem ruhigen Satz: für die gute Behandlung. Doch, er war auch Gast gewesen. Niemand hatte ihn geschlagen, genötigt, erniedrigt, niemand hatte ihm gedroht. Keiner hatte Interesse daran gehabt, ihm Schmerzen zuzufügen, selbst wenn sie seine Handlungen zurückwiesen und ablehnten. Keiner von ihnen hatte ihn in seiner Ohnmacht missbraucht oder gequält. Ein Beamter trat vor, verneigte sich leicht und fragte, ob er bereit sei. Er bejahte mit einem kurzen Nicken. Von der Seite her trat ein anderer Beamter mit dünnen weißen Handschuhen an ihn heran. Er bat ihn mitzukommen und führte ihn vorsichtig am Oberarm in die Kammer.
(S. 5f)

© 2009 Folio Verlag Wien-Bozen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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