Zum ersten Mal sah ich sie mit etwas Make-up, sah sie ganz neu: ihre zarte Haut durchsichtiger, ihre dunklen Augen strahlender, ihr hübscher Mund sinnlicher. Ich hatte Anna immer gern gehabt, an diesem Abend, vor dem Musikverein, verliebte ich mich. […]
Nach der Pause wird die siebente Symphonie von Bruckner gespielt, noch nie und auch später nie wieder ist mir Musik so unter die Haut gegangen. Schon die ersten Takte, leise beginnende, aufsteigende Linien, hoffnungsvolles Ahnen. […] Zwei Pole, einer leicht, manchmal fast durchscheinend zart, und dann wieder das Dunkle, sich behauptend, vehement sich steigernd, immer drängender in kürzer werdenden Phrasen, dramatisches Forte, ein Ritt – dann wieder ein Tanz von fern.
Ein Drittes entwickelt sich, kennt das Mächtige und kennt das Leichte. Das Weiche, Frohe und das Starke, Grimmige erkennen sich, verbinden sich, fallen ineinander. Tastendes, suchendes, atemloses Neues häutet sich. Ist.
Anna nahm mich an der Hand und zog mich aus dem Saal, während die Menge noch klatschte. Ich verstand, sie wollte in den Klängen bleiben, den Rausch nicht zer-klatschen. Wir brauchten Luft und Raum, liefen hinaus, über den Karlsplatz. Verklärt trieben wir Arm in Arm durch die Nacht und durch die leere Stadt, fühllos gegen die Kälte, enthoben aller Müdigkeit, aller Beschwerungen, aller Gedanken, ganz Gefühl, nur Musik, Wärme, Glück. Die Worte wie Satzschleier, mehr Stimme und Nähe als Inhalt. Dann wieder Stille und unsere Schritte unter den blattlosen Kronen der Alleebäume. Wir taumelten umarmt die Berggasse hinunter in den 9. Bezirk zu Annas Wohnung.
Noch heute ist mir nicht klar, wie Anna diesen Abend erlebt hat, wir haben nie darüber gesprochen. Haben uns zwei Tage nicht gesehen. Dann war alles wie bisher. Wir bauten unsere Modelle fertig und fuhren in die Semesterferien.
(S. 38ff)
© 2011 Seifert Verlag, Wien.