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Der Standard

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Leseprobe: Leopold Federmair - "Ein Fisch geht an Land."



Ich kenne einen, der ist in seiner WG Großvater geworden. Als seine siebzehnjährige Tochter das Kind bekam, boten sie ihr ein Zimmer an. Die junge Mutter, die vom Kindsvater nichts wissen wollte, nahm das Angebot dankbar an. Ein Jahr zuvor war sie ausgezogen, weil sie geglaubt hatte, die Heuchelei der Hippies nicht mehr ertragen zu können. Sieht man sich die Wohnungen dieser Gemeinschaften an, findet man keinen großen Unterschied zu den Wohnungen gewöhnlicher Familien (die bald in der Minderheit und also ungewöhnlich sein werden). Man findet gepflegte Pflanzen, sanft strömendes Licht, teure Ölbilder befreundeter Künstler, ein pathetisches Poster als ironisches Zitat einer fernen Vergangenheit, praktische Wandregale in der Küche, einen Platz für den Kinderwagen, einen Platz für den Rollstuhl eines Bekannten, der manchmal im Gästezimmer übernachtet, ein Telephon mit vier oder fünf Antwortboxen, zu denen man nach Drücken der entsprechenden Taste automatisch durchgestellt wurde. Eine Katze mit glänzendem Fell streicht durch die Zimmer und Gänge, die zahlreichen Fenster werden von einer jugoslawischen oder kolumbianischen Putzfrau geputzt, und im Alkoven, hinter den geduldigen Weinflaschen, von denen zwei oder drei noch aus der Gründungszeit der WG stammen, findet man, wenn man ein wenig sucht, ein Ying-Yang-Kistchen, angefüllt mit dem, was wir immer noch mit dem unschuldigen Namen "Gras" bezeichnen. In diesen Räumen herrscht Ordnung, guter Geschmack und eine erholsame Ruhe, hinter der Leute, die immer noch zum Psychologisieren neigen, geheime Abgründe oder tödliche Erstarrung vermuten können.
Für Gäste wie Kave, mit der Fähigkeit begabt, sich unsichtbar zu machen, ist eine solche Wohngemeinschaft der ideale Platz. Für ihre Zwischenaufenthalte, will ich sagen. Falls nicht ihr ganzes Dasein so ein Zwischenaufenthalt ist. Der Gast klingelt, tritt ein: Hier bin ich, hallo - stellt den Koffer ab oder die Tasche, eine alte, nur halb gefüllte Sporttasche, die einknickt sobald er sie aus der Hand gibt. Im nächsten Augenblick ist er schon der seit langem Erwartete. Gehört als Fremder dazu. Löst sich auf in der Sitzgarnitur. Beseitigt Spuren, indem er atmet. Wer hat ihn eigentlich geschickt?
(19f)

© 2006, Otto Müller Verlag, Salzburg - Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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