Die Achsen schlugen.
Mrs. Collins hatte ihre Erzählung unterbrochen. Sie saß reglos. Dann, nach einer langen Weile, zog sie die Glanzstoffblende hoch. Die Fensterscheibe war mit Regenschlieren bedeckt. Ab und zu sah man in der Finsternis ein paar Lichter. Die Scheibe spiegelte. Mrs. Collins preßte die Stirn gegen das Glas, während sie weitersprach.
"Ich werde meinen Mann vergessen. Ich werde Vater und Mutter vergessen. Ich werde alles vergessen. Nur niemals diesen Nachmittag. An diesem Nachmittag erst wurde ich zur Frau. Mit fünfundvierzig Jahren erfuhr ich, was eine Frau bei einem Mann empfinden kann. Niemals zuvor hatte ich mir das auch nur in der Phantasie vorzustellen vermocht. Niemals zuvor hatte ich solche Gefühle erlebt - bei meinen beiden Freunden nicht, bei meinem Mann nicht, niemals, nein, niemals. Pierre war ein wundervoller Liebhaber, zärtlich und brutal, sanft und wild. Er war es, der mich zum wirklichen Leben erweckte - mit fünfundvierzig Jahren ..."
Sie wandte sich um und sah mich an, und da waren Tränen in ihren Augen - wie an jenem Nachmittag vor elf Jahren. Sie wischte die Tränen mit einem Handrücken fort und lächelte. "Ich bin schamlos, nicht wahr?"
"Aber nein, Madame, ich bitte Sie ..."
"Ich bin schamlos, weil ich Ihnen, einem Fremden, das alles erzähle. Ich war noch viel schamloser damals, bei ihm. Es war mir egal. Bitte, geben Sie mir noch etwas zu trinken."
Ich füllte ihr Glas, und sie leerte es zügig.
Sie sagte: "Ich hatte keine Schuldgefühle - damals nicht, später nicht, heute nicht. Sie sind Schriftsteller, Sie werden mich verstehen."
Ich antwortete nicht. (S. 48f.)
(c) 1998, Droemer Knaur, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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