logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Paul Celan: Gedichte von Ossip Mandelstam und Sergej Jessenin

Sprecher: Paul Celan
Mit einem Begleittext von Durs Grünbein
Spielzeit: ca 55 Min.
ISBN 3-89584-988-X
München: Der Hörverlag 2002

"Er bereitet Übersetzungen von Jessenin vor. Aber sein Idol (...) ist Mandelstam", schreibt Alexej Struve, der Inhaber einer russischen Buchhandlung in Paris, über Celan in einem Brief. Den russischen Dichter Sergej Jessenin hatte Celan schon als Gymnasiast in Czernowitz in rumänischer Übertragung gelesen, die Begegnung mit Mandelstam aber wird ihm Ende der fünfziger Jahre in Paris zu einem Epiphanie-Erlebnis. Celan kauft alles auf, was von Mandelstam zu diesem Zeitpunkt erhältlich ist und stürzt sich, anfangs noch parallel zur Übersetzungsarbeit an Jessenin- und Alexander Block-Gedichten in die Übertragung von Ossip Mandelstam. Eine Auswahl von Gedichtübertragungen ist bereits im April 1959 zu einem ersten Abschluss gekommen, die Publikation erfolgt rasch, nämlich noch vor dem Band mit Jessenin-Gedichten, im November '59 im S. Fischer-Verlag in Frankfurt.

Tatsächlich sind Celans Übersetzungsarbeiten, die von den frühen Shakespeare-Übertragungen des kurzzeitigen Anglistik- und Romanistik-Studenten an sein Leben lang parallel und in Wechselwirkung mit der eigenen lyrischen Arbeit und Sprachfindung stehen, immer auch Entdeckungs- und Vermittlungsarbeiten; im Fall von Jessenin sollen sie ein Bild korrigieren und ersetzen helfen - das des skandalumwitterten Bohemiens - zugunsten der Eindringlichkeit seiner unmittelbaren Bildsprache; seit Puschkin war kein Dichter im russischen Volk so bekannt und beliebt, so unmittelbar zugänglich gewesen wie Jessenin. Celan rehabilitiert gewissermaßen den Dichter gegenüber dem Bohemien.

Leider gibt das Beiheft zur CD keine Information zu diesem Umfeld, sondern ist begrenzt auf einen schwungvollen und eloquenten Kurzessay von Durs Grünbein, dessen Auffassungen zu Zweisprachigkeit (wo es doch nicht nur im Fall Celans besser Mehrsprachigkeit hieße) aber in der Behauptung verwundert, dass sich mit dem späten Rilke der letzte Lyriker fände, der sich in eine zweite Sprache vorgewagt hätte. Grünbein übergeht damit komplexe Situationen und Autoren wie Ivan Goll, Samuel Beckett, Ezra Pound oder Pasolini, der auch friulanische Gedichte verfasste; für die Gegenwart wären allein im deutschen Sprachraum Yoko Tawada und Peter Waterhouse zu nennen. Ganz verloren ist vom elitären Standpunkt aus aber der Blick auf Lyriker, die sich oft programmatisch gar nicht auf eine Sprache festlegen wollen, wie etwa der nach Tomizza bekannteste Istrische Autor Milan Rakovac (er schreibt in zwei regionalen Dialekten), oder Janko Ferk und andere slowenische oder Südtiroler Autoren (die Liste lässt sich innerhalb und außerhalb Europas in mehrsprachigen Gebieten fortsetzen).

Wie Celan von Mandelstam aus der Hingabe der Übersetzung lernte, ist legendär: "Bruder Ossip", heißt es noch im Entwurf zu "Huhediblu", und aus dem Einleitungstext zu einer Lesung seiner Mandelstam-Übertragungen im Norddeutschen Rundfunk geht die Büchnerpreisrede und damit die Formulierung der eigenen poetologischen Position hervor, Celans "Niemandsrose" schließlich ist "Dem Dichter: dem Menschen" Mandelstam gewidmet. Mandelstams Lichtmetaphorik - "die gestern helle Sonne - schwarz trägt man sie vorbei" - heißt es etwa in "Ihr Schwestern Schwer und Zart"; auf dieser CD leider nicht enthalten - wird zu einem wichtigen poetischen Element der "Niemandsrose", die sich schon im Titel mit einer Mandelstam-Zeile verbindet: "Die Zeit - gepflügt, die Rose, die nun zu Erde ward (...)"

Zu Celans Mandelstam-Übertragungen gibt es übrigens eine äußerst kompetente und faszinierende Besprechung durch den Slawisten und Lyriker Vladimier Markov, der zwar auch Missglücktes und Manierismen kritisierte, das Stakkato Celanscher Wortreihungen bemerkte, "Stilisierung des Originals nach seiner Manier" feststellte, aber anderes als prachtvoll und einem bisher nicht vorstellbaren Ausmaß als kongeniale große Dichtung pries und schloss: "Dieses Buch ist ein Ereignis im Bereich der Übersetzungen, für die 'Mandelstamianer' ebenso wie für den dichterischen Werdegang Paul Celans" - für das Jahr 1959 eine erstaunliche Prophetie.

Celan nun Jessenin und Mandelstam lesen zu hören, ist schon Teilnahme an einem der intensivsten denkbaren Poesieerlebnisse. Zwar verschwinden manchmal Endsilben aus technischen Gründen, Celan liest mit großer Eindringlichkeit, Wort für Wort Raum gebend, Jessenin getragen und im schwermütig-beschwörenden Tonfall der Lyrikauffassung dieser Zeit, im zweiten Teil (den Mandelstam-Gedichten) vielleicht eine Spur analytischer und angeregter, aber schon beim zweiten Gedicht der CD kommt es zu einer undeklarierten Sternstunde des Zuhörens: Celan verliest sich. Er verliest sich zwei Mal, in Folge liest er Titel und gleichlautenden Textbeginn falsch, und dieser Fehler verrät, wer spricht, lässt plötzlich ihn, den Übersetzer und Poeten erkennen, erscheint seinerseits als "Schlüssel", wenn er von der Blume spricht und damit quasi Jessenin verbessert: "Blaue Himmelsschlüssel", liest Celan, und beginnt das Gedicht: "Blaue Himmelsschlüssel". Fünf Sekunden Stille. Celan setzt kommentarlos neu an - und nun ist er wieder bei Jessenin: "Blaue Himmelsschüssel./ Blaue Himmelsschüssel/ der gelben Wolken Honigschwaden ..."

Originalbeitrag

Martin Kubaczek
17. März 2003

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 21 – MARK Z. DANIELEWSKI

Dem amerikanischen Autor Mark Z. Danielewski gelang es mit seinem Roman-Debut Das...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...